Wirtschaft und Weiterbildung 3/2018 - page 20

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wirtschaft + weiterbildung
03_2018
„Es kann von Nachteil sein, zu schnell zu lernen!“
Wie wandelt das Gehirn Informationen in Wissen um?
Dr. Henning Beck:
Wissen ist die Fähigkeit, Informationen
zu verarbeiten und in (neue) Zusammenhänge zu stellen.
Daten sind das einfachste Niveau und für sich genommen
wertlos. Das heißt: Wenn ich Informationen verstehe,
erhalte ich Wissen. Wenn man Wissen abfragt, fragt man
auch das Verständnis ab. Für einen Computer unterschei-
den sich die Smileys :-) und :-( in einem Drittel der Daten.
Doch für uns sind sie zu 100 Prozent unterschiedlich. Denn
wir denken über die bloßen Zeichen hinaus, haben ein Kon-
zept, eine Idee mit den Schriftsymbolen verbunden und
damit genau dieses Konzept verstanden.
Kann man mit Virtual Reality (VR) besser lernen als
ohne?
Beck:
Lernen mit einer VR-Brille kann wie eine „echte“ Rea-
lität wahrgenommen werden. Der Lernende taucht in die
Szene ein und nimmt sie als Wirklichkeit wahr – im Sinne
von „Wirkung“. Das funktioniert allerdings nur bei einer
sehr guten Technik mit wenig Verzögerung. Manchmal wird
es einem schwindlig, weil die Systeme langsamer arbeiten
als das Gehirn. Es reicht nicht aus, jemandem ein Handy
auf die Nase zu setzen, das ist nur Spielerei. Es gibt viele
Interview.
Der Neurowissenschaftler Dr. Henning Beck sprach auf der Learntec 2018 auch
über die Bedeutung seiner Zunft für die Anbieter moderner Formen des E-Learnings. Virtual
Reality kann beim Lernen helfen, muss aber technisch einwandfrei funktionieren.
Anwendungen, bei denen zusätzliche Sinneskomponenten
von Vorteil sind. Wenn ein Designer Büromöbel gestal-
tet, macht es einen deutlichen Unterschied, ob er nur mit
2D-Zeichnungen arbeiten oder mit 3D-Visualisierung tief in
das Möbelstück eintauchen kann. Die Darstellung ist ganz
anders. Schrauben sitzen eben dreidimensional im Stuhl
drin.
Was können E-Learning-Anbieter von Gehirnforschung
lernen?
Beck:
Die besten Ergebnisse kann man beobachten, wenn
mehrere Menschen am Lernen beteiligt sind und inter­
agieren. Deshalb sind virtuelle Klassenzimmer oder Konfe-
renzschaltungen besser als WBTs, bei denen sich die Ler-
nenden das Wissen allein aneignen müssen. E-Learning-
Tools werden immer produktiver. Doch die Annahme, die
Lernenden könnten mit den neuen Medien schneller und
mehr behalten, trifft nicht zu. Denn irgendwann nimmt man
mehr auf, als man verarbeiten kann, und dann wirft das
Gehirn wieder viel raus. Deshalb kann es sogar von Nach-
teil sein, wenn man zu schnell lernt. Besser ist pulsierendes
Lernen, das heißt, manchmal muss man beschleunigen
und intensiv lernen, dann verdauen, dann auf höherem
Niveau weitermachen. Man kann also nicht nur ein immer
gleiches, hohes Lerntempo vorgeben. Manches kann man
komprimiert anbieten, muss den Teilnehmern aber auch die
Möglichkeit geben, das Gelernte in einen anderen Zusam-
menhang zu stellen, also zu reflektieren. Aufnehmen, ver-
arbeiten und in einer anderen Form artikulieren, sodass
es jemand anderes versteht – mehr muss ein Gehirn nicht
können.
Wird künstliche Intelligenz jemals das menschliche
Gehirn an Lern- und Leistungsfähigkeit überholen?
Beck:
Ich weiß zwar nicht, was in 300 Jahren ist, aber zu
unseren Lebzeiten wird das nicht passieren. Der Begriff
„künstliche Intelligenz“ ist missverständlich, denn es han-
delt sich um eine reine Mustererkennung. Computer kön-
nen Schach, Go und Poker lernen, Bilder und Gesichter
erkennen, Big Data auswerten. Doch Intelligenz ist nicht
alles, denn der Mensch kann aus seinem Wissen neue
Ideen entwickeln, mit anderen austauschen und koope-
rieren. Deshalb wird ein Computersystem das Gehirn so
schnell nicht in den Schatten stellen.
Interview: Kirsten Seegmüller
Dr. Henning Beck.
Der Keynote Speaker zeichnet und die
Zuhörer müssen etwas hineininterpretieren.
Foto: Pichler
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