Wirtschaft und Weiterbildung 3/2018 - page 12

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wirtschaft + weiterbildung
03_2018
Matthias Hintz
Die Diskussion über die Existenzberechtigung
von HR erscheint mir wie ein orientierungsloses
Stochern im Nebel. Wenn man sich näher damit
auseinandersetzt, welche vielschichtigen sozialen
und individuellen Prozesse in Organisationen gleich-
zeitig ablaufen, dann wird man hinter dem Nebel
einen gigantischen, erfolgskritischen Aufgaben- und
Verantwortungsberg erkennen.
Ich spreche hier nicht von den administrativen
Aufgaben von HR. Auch nicht primär von Staffing
oder arbeitsrechtlicher Beratung. Es gibt eine
Kernaufgabe, die ich schmerzlich in der Diskussion
vermisse, die manchmal in Verbindung mit der Rolle
als „Business Partner“ zaghaft auftaucht, die aber
in ihrem ganzen Ausmaß überhaupt nicht betrachtet
wird. Warum nur?
Systemtheoretisch betrachtet hat es HR nicht nur mit
Individuen, sondern parallel auch mit dem sozialen
System „Organisation“ und seinen Subsystemen wie
Teams oder Abteilungen zu tun. Klar, HR-Abteilungen
empfehlen und begleiten auch Teamworkshops oder
Kulturprojekte. Das Gesamtgebilde ist aus meiner
Sicht allerdings nicht durch Einzelausschnitte und
Einzelmaßnahmen begreifbar und effektiv zu unter-
stützen. Es existieren vielfache Wechselwirkungen.
Ein Beispiel: Was nützt es, Führungskräfte auf Inno-
vationsseminare zu schicken, wenn auf der Ebene der
Organisation alles auf „Beibehalten“ ausgerichtet ist?
Es braucht einen Gesamtblick, ein systematisches
„Cockpit“. Die Beschaffenheit der sozialen und
individuellen Ebenen im Kontext der vielen Unter-
nehmensumwelten ist erstens erfolgsentscheidend,
zweitens vor dem Hintergrund der internen und
externen Dynamik höchst fragil und damit drittens
eine fortlaufende Aufgabe. Für das Finanzsystem
gibt es Controller. Wer hat einen spezifischen Blick
auf das eben Beschriebene?
Vor diesem Hintergrund erübrigt sich für mich die
Existenzfrage von HR: HR muss das Cockpit im Blick
behalten und verstehen. Parallel müssen dezen-
tral Teams, Führungskräfte und Mitarbeiter ihre
(Selbst-)Verantwortung übernehmen.
Wieso vibriert es also nicht in HR-
Abteilungen vor lauter Sich-auf-den-Weg-
machen? Wieso treten Vorstände und
Geschäftsführer nicht mit entsprechenden
Anforderungen an HR heran? Hier ein paar
unvollständige Hypothesen:
· Es fehlt an Selbstbewusstsein bei HR und Bewusst-
sein bei Vorständen und Geschäftsführungen ob
dieses erfolgskritischen Verantwortungsbergs.
· HR-Abteilungen haben keine Lust, diesen „heiklen“
Verantwortungsberg zu übernehmen. Sie lassen
ihn lieber im Nebel und halten sich selbst klein.
· Vorstand und Geschäftsführung möchten HR klein-
halten.
Solange es sich ein Unternehmen leisten kann,
besteht wenig Handlungsdruck. Allerdings ist zu
berücksichtigen, dass sich psychische und soziale
Systeme nicht von heute auf morgen entwickeln –
sie brauchen Zeit.
In einem hoch dynamischen Umfeld macht es
vorsichtig ausgedrückt Sinn, dass sich sowohl der
Vorstand als auch HR an diesen Berg heranwagen –
in konkreten, überschaubaren Schritten, die einen
schnellen Nutzen generieren werden! Gerade auch
in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Es
braucht dazu leistungsfähige „Brillen“, die Orientie-
rung und Handlungskompetenz ermöglichen. Dazu
an dieser Stelle demnächst mehr.
Gastkommentar
Wozu HR?
Wer fragt das bloß?
Foto: Nina Solansky
Matthias Hintz, München, Partner von Rosenberger+Partner, begleitet als Executive Coach und Organisationsberater Menschen, Organisationen und HR-Bereiche
in komplexen Veränderungen. Mit eigenem internationalen HR-Background unterstützt er große Unternehmen und Mittelständler in der Entwicklung leistungs-
starker HR-Strategien, die mit neuartigen, integrativen PE/OE-Konzepten das Business systematisch voranbringen
Wieso vibriert es nicht in den
HR-Abteilungen vor lauter Sich-auf-
den-Weg-machen?
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