Wirtschaft und Weiterbildung 3/2018 - page 14

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03_2018
INTERVIEW.
Der kanadische Managementprofessor
Roger L. Martin fordert Manager dazu auf, bessere
Entscheidungen zu treffen, indem sie aus den vorhandenen
Alternativen eine neue Lösung erarbeiten. Der langjährige
Dekan der Rotman School of Management wurde
2017 von „Thinkers 50“ zum weltweit einflussreichsten
Managementvordenker gekürt. Bärbel Schwertfeger sprach
mit ihm am Rande des Global Drucker Forums in Wien.
Sie fordern, dass sich Manager bei Entscheidungen mehr
Zeit nehmen und eine bessere Lösung entwickeln sollten.
Ist das nicht etwas unrealistisch?
Roger L. Martin:
Manager denken, dass es mehr Zeit erfordern
würde, als sie tatsächlich haben. Aber das widerspricht meiner
Erfahrung. Das Zeitargument nutzen sie nur, um sich selbst
unangreifbar zu machen. Die Frage ist doch, wie intensiv denkt
man nach und nicht, wie viel Zeit man braucht. Es geht also
um eine andere Einstellung. Ist ein Tag etwa zu viel, wenn es
um die Zukunft des Unternehmens geht?
Mal ganz unter uns: Sind Manager also in der Regel einfach
nur denkfaul?
Martin:
Viele suchen nur Ausreden, damit sie nicht intensiv
nachdenken müssen. Ich kenne den Fall eines Topmanagers,
dessen Aufsichtsrat von ihm eine strategische Entscheidung
forderte. Aber der saß immer in Meetings und hatte keine Zeit.
Irgendwann haben sie ihn gefeuert. Natürlich ist es schwer,
sich zu entscheiden, wenn man nur unter lauter schlechten
Alternativen wählen kann. Mein Appell ist daher: Akzeptiere
nie das, was dir angeboten wird, sondern verändere und ver-
bessere es.
Befolgen Sie Ihren Rat auch selbst?
Martin:
Als ich Dekan der Rotman School of Management
wurde, habe ich die bewusste Entscheidung getroffen, dass ich
Foto: Harvard
Mit „integrativem“
Denken gegen die
Denkfaulheit
mehr Zeit für andere Aktivitäten haben wollte. Meine Sorge
war, dass ich mich viel zu viel um Verwaltungsangelegen-
heiten kümmern muss. Ich wollte aber mehr lehren, als es
normalerweise ein üblicher Dekan tut. Ich wollte unbedingt
etwas Neues schaffen. Daher habe ich etliche Aufgaben an
meine Mitarbeiter delegiert. Ich habe also eine sehr bewusste
Wahl getroffen. Aber die meisten Menschen sagen voreilig, sie
hätten keine Wahl. Für eine Wahl braucht man allerdings ein
gesundes Selbstvertrauen. Ich habe zum Beispiel damals das
„Rotman Magazine“ lanciert. Inzwischen übernimmt sogar die
„Harvard Business Review“ wissenschaftliche Beiträge daraus.
Es geht also darum, etwas Neues zu schaffen, statt nur das
Vorhandene zu managen.
Sie propagieren das sogenannte „integrative“ Denken.
Was steckt dahinter?
Martin:
Ziel ist es, zwei gegensätzliche Positionen dafür zu nüt-
zen, um eine neue und bessere Lösung zu finden. Meist haben
wir auf ein Problem eine Antwort, verteidigen diese und hören
dem anderen gar nicht genau zu. Beim integrativen Denken
geht es darum, das Modell des anderen zu verstehen – unab-
hängig davon, ob er recht hat oder nicht. Wie funktioniert das
Modell? Ist das alles totaler Mist oder gibt es vielleicht Dinge,
von denen beide Seiten profitieren können? Doch stattdessen
verschwenden wir viel Zeit damit, gegen das andere Modell zu
argumentieren oder seine Verfechter abzuwerten.
Roger L. Martin.
Er ist
zusammen mit Jennifer Riel
der Autor des Buchs „Creating
Great Choices: A Leader‘s
Guide to Integrative Thinking“
(Harvard Business Review
Press, September 2017).
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