wirtschaft und weiterbildung 11-12 /2017 - page 20

titelthema
20
wirtschaft + weiterbildung
11/12_2017
04.
... eine unverwechselbar eigene
Haltung
gewinnen
05.
... und aus dieser Haltung
heraus konsequent
handeln
06.
... den eigenen
Überzeugungen
konsequent folgen
R
Denkmustern erfasst. So stellt unser
Oberstübchen am schnellsten Sicherheit
her und ordnet Neues in eine Schublade
(„Kenn ich schon“). Dieses Vorgehen
macht Sinn, wenn rasche psychologische
Sicherheit das oberste Ziel ist. Wir bezah-
len sie aber mit mangelndem geistigen
Wachstum.
Grundl schlägt vor, Unbekanntes erst ein-
mal mental zu parken und die dazugehö-
rige innere Unsicherheit auszuhalten. „In-
formieren Sie sich, denken Sie nach, neh-
men Sie unterschiedliche Standpunkte
ein und erfreuen Sie sich an dieser geisti-
gen Übung“, rät der Leadership-Trainer.
Man zerlege anschließend Unbekanntes
in kleine Scheiben und betrachte diese
aus ganz unterschiedlichen Blickwin-
keln. Die passenden Fragen dazu lauten:
„Was wird wahrscheinlich der Blickwin-
kel des anderen sein?“, „Was kann ich
davon übernehmen und was kann ich
nicht übernehmen?“ und „Kann ich mir
hochwertigere Schubladen zulegen, in
die ich meine Erkenntnisse stecke und
die mir in Zukunft ein klügeres Denken
ermöglichen?“ Letzteres ist mehr denn je
nötig, da wir nur so mit der Komplexität
der modernen VUCA-Welt Schritt halten
können.
Viele Menschen denken aber immer noch
in der Kategorie „richtig – falsch“ oder
„mag ich – mag ich nicht“. Es gibt nur
zwei Möglichkeiten, eine Sache zu bewer-
ten. Dieser Mangel an Differenzierung ist
ein weiteres Hindernis auf dem Weg zu
einem bewussteren Leben und zu sinn-
vollen Entscheidungen. Statt sich immer
nur zwischen zwei extremen Polen zu
bewegen, fordert Grundl dazu auf, sich
für die „goldene Mitte“ zu entscheiden.
Für Aristoteles war Tapferkeit die goldene
Mitte zwischen Feigheit und Tollkühnheit
und Großzügigkeit die goldene Mitte zwi-
schen Geiz und Verschwendung. Diese
Mitte ist mehr als ein Durchschnittswert.
Es ist eine Integration des Besten der bei-
den Pole.
Differenziertere Unterschei-
dungen treffen
Menschen kommen durch die goldene
Mitte zu mehr Klarheit – aber nur, wenn
sie zuvor die unterschiedlichen Aspekte
eines Sachverhalts verstanden haben.
Erst dieses Denken auf einer höheren
Ebene erlaubt es den Menschen laut
Grundl, bessere Ergebnisse zu erzielen
und eigene Maßstäbe für ihr Handeln zu
entwickeln. Grundl: „Je weniger ein Gut-
Böse-Urteil im Raum steht, desto näher
ist das mentale Paradies.“
Dieses „Verstehen, ohne einverstanden
zu sein“, das der Buchtitel fordert, ist
solch eine hochwertige Entscheidung,
die benötigt wird, wenn es um ein tiefe­
res Begreifen und wichtige Momente im
Konrad Adenauer (CDU), der erste Bun-
deskanzler der Bundesrepublik Deutsch-
land, soll von seinen Parteifreunden
gefordert haben, sie müssten die Partei-
programme der politischen Gegner besser
kennen als ihr eigenes. Wahrscheinlich
wollte der „Alte“ auf diese Weise seine
Leute auf besonders nachhaltige Art fit
machen für die politischen Debatten der
Nachkriegszeit.
Grundls neuestes Buch („Verstehen heißt
nicht einverstanden sein“) geht nur
scheinbar in die Richtung, die Adenauer
im Sinn hatte. Der Leadership-Trainer will
zwar auch, dass man den Menschen mit
anderer Meinung große Aufmerksamkeit
schenkt – aber nicht, um sie anschlie-
ßend mit ihren eigenen Waffen schlagen
zu können, sondern um jene Argumente
zur Kenntnis zu nehmen, die bei genauer
Betrachtung gar nicht so dumm sind und
einem weiterhelfen können.
Erster Schritt: hochwertigere
Denk-Schubladen zulegen
„Die Welt in sich aufnehmen“, nennt
Grundl diesen Prozess, der in der Regel
sehr mühsam ist. Nicht umsonst ersparen
sich viele Menschen die Auseinanderset-
zung mit den Gegenspielern und verur-
teilen sie pauschal als „gestört“ oder „zu
nichts zu gebrauchen“. Schwache Men-
schen wollen zuerst von anderen ver-
standen werden, bevor sie sich bemühen,
andere zu verstehen. Grundl: „Selbstbe-
stätigung schlägt Lernbestrebung. Hin-
hören und aufnehmen gilt unter solchen
Umständen als Zeichen der Schwäche.“
Hinzu kommt eine Art Kurzschluss im
Gehirn: Alles Unbekannte, mit dem das
menschliche Gehirn konfrontiert wird,
wird in der Regel mit den gewohnten
Buchtipp.
Boris Grundl: Verstehen heißt
nicht einverstanden sein, Econ Verlag
(Ullstein Buchverlage), Berlin, Oktober
2017, 316 Seiten, 18 Euro
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