wirtschaft und weiterbildung 11-12 /2017 - page 17

wirtschaft + weiterbildung
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Normalraucher mag offenbar Gebote lieber als Verbote. Die
Menge der überall verstreuten Kippen nahm stark ab.
Ein Stups hat im Wesentlichen die Aufgabe, kognitive Ver-
zerrungen zu verhindern – insbesondere, wenn Menschen
aufgrund ihres impulsiven „Ichs“ Entscheidungen treffen.
So werden Informationen, die zuerst angeboten werden, oft
übergewichtet (Ein Arzt sollte deshalb zuerst sagen, wie viele
Menschen eine bestimmte Operation im Schnitt überleben und
nicht, wie viele sterben). Außerdem gilt: Menschen haben
mehr Angst vor Verlust, als dass sie sich über Gewinne freuen.
Sie glauben, Muster zu erkennen, wo keine sind. Sie bevor-
zugen den Status quo, folgen dem Gruppendruck und wol-
len spielen und belohnt werden. Außerdem kommt es darauf
an, wie vor einer Entscheidung die entsprechenden Optionen
präsentiert werden (In Schulcafeterien wird gesundes Essen
immer leicht greifbar auf Augenhöhe präsentiert).
Schon vor drei Jahren schrieb das Magazin „Zeit Wissen“ (Nr.
6/2014), dass die engagiertesten Gegner des Nudgings aus
Deutschland kämen. Ihr Hauptquartier liege im Max-Planck-
Institut für Bildungsforschung (MPI) in Berlin-Dahlem. Gerd
Gigerenzer, der MPI-Chef, wird mit den Worten zitiert, Nud-
ging sei die Philosophie von Gutmenschen, die andere von
außen steuern wollten. Besser sei es, durch Bildung die Kom-
petenz der Betroffenen zu erhöhen. Gigerenzer glaubt, dass
die Menschen es trainieren könnten (zum Beispiel, indem sie
Wahrscheinlichkeiten abzuschätzen lernten), weniger Denk-
fehler zu machen. Thaler betont dagegen, dass Nudging zwar
Entscheidungen beeinflusse, aber die Freiheit der Individuen
werde nie eingeschränkt. Sein „liberaler Paternalismus“ sei nur
eine sehr weiche Form der Manipulation.
... eine harmlose Form staatlicher Nachhilfe?
Reinhard Sprenger, Deutschlands Management-Querdenker,
erzählte in einem Interview mit dem „Managermagazin“
(9/2015) vor einiger Zeit ganz beiläufig, dass er in Zürich
immer mit dem Fahrrad fahre. Einmal habe man ihm eine Fla-
sche Wasser schenken wollen, weil der Kanton Zürich sich in
den Kopf gesetzt habe, alle Radfahrer zu belohnen. „Das ist
mir viel zu invasiv, das ist Infantilisierung. Ich fahre Fahrrad
nicht für das Gemeinwohl, sondern nur für mich. Der Kanton
Zürich soll sich nicht einmischen“, tobte Sprenger im Inter-
view los. Er brauche keine Volkserziehung und verlange „An-
stand durch Abstand“. Kurz nach der Nobelpreisverleihung an
Thaler meldete sich Sprenger in der Wirtschaftswoche (Nr. 44,
20.10.2017) zu Wort. Nie habe der Begriff „Homo oeconomi-
cus“ bedeutet, dass der Mensch durchgängig rational sei. Dass
er bei der Lebensplanung manchmal nicht konsequent genug
sei, müsse schmunzelnd hingenommen werden. Die von
Thaler beschriebenen „Anomalien“ lieferten den Politikern nur
die Legitimation, ihre „Umerziehungsneigung“ auszuleben.
Martin Pichler
Buchtipp.
Richard H. Thaler und Cass R.
Sunstein: Nudge – Wie man kluge
Entscheidungen anstößt, Ullstein Taschen-
buch, Berlin 2011, 389 Seiten, 11 Euro
1...,7,8,9,10,11,12,13,14,15,16 18,19,20,21,22,23,24,25,26,27,...68
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