wirtschaft und weiterbildung 2/2017 - page 23

wirtschaft + weiterbildung
02_2017
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(„Ich muss mich um die kranke Tante
kümmern“). Wer am Arbeitsplatz zum
Beispiel einen allzu lockeren Stil in einer
Präsentation pflegt, gilt schnell als wenig
seriös. Der Genusswert für Deutschland
ist im internationalen Vergleich eher auf
der Seite seriöser „Zurückhaltung“. Dabei
weisen aktuelle Ergebnisse einer Studie
der Twist Consulting Group, München,
darauf hin, dass junge, internationale
Städte durchaus aus dem deutschen Ge-
samtbild fallen können und im Durch-
schnitt mehrheitlich dem Genuss frönen.
Die im Jahr 2007 von Minkov entdeckte
(und mit Vater und Sohn Hofstede ge-
meinsam veröffentlichte) Dimension
trägt zum Beispiel gut zur Erklärung der
Ereignisse in der Silvesternacht 2016 in
Köln bei. Minkov meint hierzu: Im Mitt-
leren Osten und den arabischen Ländern
(im Mittel allesamt hohe Zurückhaltung)
denkt man, dass die europäische Kultur
dekadent ist und man Frauen (und allen
jungen Leuten) zu viele sexuelle Frei-
räume gestattet. Die Westeuropäer (die
meisten eher auf der Seite Genuss) sagen
dagegen, dass die Kulturen des Mittle-
ren Ostens die Menschen unterdrücken.
„Diese Konfrontation wird jetzt in der
Flüchtlingskrise zum ernsten Problem“,
so Minkov. Aus einer sehr zurückhal-
tenden Kultur stammend (Burka, Alko-
holverbot) und mitten im fröhlichen Sil-
vestertaumel Kölns angekommen, ließen
sich junge Männer aus dem Mittleren
Osten erst volllaufen und gingen dann
auf Grapsch- und Selbstbedienungstour.
Die deutsche Kultur wurde gründlich
missverstanden. „Hier geht ja offenbar
alles!“, dieser Eindruck ist falsch, denn
statt strikter Regeln haben die Menschen
in den westlichen Kulturen gelernt, die
Bedürfnisse anderer als die Grenzen der
eigenen Lust zu akzeptieren.
Relevant dürfte Minkovs neue Dimension
aber auch für eine Reihe von Situationen
im Arbeitsalltag werden. Präsentationen
in den USA müssen locker und positiv
aufgebaut werden, in anderen Ländern
wie zum Beispiel in den osteuropäischen
Ländern müssen sie dagegen seriös und
logisch sein. Stichwort Marketing: Wäh-
rend es in den USA reicht, das Schlank-
heitsmittel im Fernsehspot mit fröhlichen
jungen Leuten am Strand zu bewerben,
muss in Deutschland eine Apothekerin
die Seriosität des Produkts belegen. Wenn
Chefs über die Einführung von Incentives
nachdenken, sollten sie Folgendes be-
achten: Was in einem Land motivierend
wirkt (zum Beispiel die Motorradrallye
zum Gardasee) wird in anderen Ländern
als nutzlose Geldverschwendung betrach-
tet.
Die Kulturdimensionen lassen sich mes-
sen. Auf einer Skala von null bis hundert
kann man jedem Land einen Wert zuord-
nen, der das betreffende Land dann inner-
halb einer Grafik eindeutig positioniert.
Die Grafik, die zur Dimension „Machtdis­
tanz“ gehört, zeigt zum Beispiel, dass in
Schweden die Mitarbeiter eines Unterneh-
mens vom Chef mit Nachdruck erwarten,
an den Entscheidungsfindungen beteiligt
zu werden. In China dagegen präferieren
die Mitarbeiter hierarchische Strukturen
mehr als in allen anderen befragten Län-
dern. Ein Kritikpunkt an Hofstede lautet,
er verbreite so nur Stereotype. Tatsache
ist: Die „Länderwerte“ erfassen nur , wie
die Mehrzahl (!) der Mitglieder einer Kul-
tur eine grundlegende Lebensfrage beant-
wortet. Diese Werte (es sind Mittelwerte
innerhalb einer Gaußkurve) dürfen nicht
als Vorhersage für das Verhalten einzelner
Personen missverstanden werden. Die
Länderwerte sind zum Beispiel sehr hilf-
reich, wenn internationale Unternehmen
Schulungsprogramme oder Incentives an
unterschiedliche Länder anpassen müs-
sen.
Wenn Unternehmen einzelne Mitarbei-
ter ins Ausland schicken wollen, macht
es Sinn, diesen Mitarbeitern die Chance
zu geben, herauszufinden, wie sie kul-
turell ticken. Das entsprechende Testver-
fahren heißt „Culture in the Workplace
Questionnaire“ (CWQ). Damit kann jeder
seine Präferenzen in Bezug auf die Kul-
turdimensionen erfahren und bekommt
so einen Kompass für sein Verhalten in
bestimmten Ländern.
Dr. Claudia Harss
Dr. Claudia Harss
ist
Inhaberin
der Twist Con-
sulting Group.
Die
Diplom-
Psychologin ist seit 1988 im In- und
Ausland selbstständig als Traine-
rin und Beraterin tätig. Einer ihrer
Schwerpunkte ist die Organisation,
Durchführung und Supervision von
(internationalen) PE/OE-Maßnahmen.
Twist Consulting Group
Siegfriedstraße 8, 80803 München
Tel. 089 8905194-0
AUTORIN
Prof. Dr. Felix Brodbeck.
Er ist Lehrstuhl-
inhaber für Arbeits- und Organisations-
psychologie an der Münchner Ludwig-
Maximilians-Universität (LMU).
Prof. Dr. Gert Jan Hofstede.
Der Sohn
von Geert Hofstede befasst sich an der
Universität Wageningen, Holland, mit PC-
Simulationen zu interkulturellem Verhalten.
Prof. Dr. Michael Minkov.
Er ist Professor
an der Varna Management Universität
Sofia und half mit, Geert Hofstedes
Forschung zu aktualisieren.
Fotos: privat
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