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wirtschaft + weiterbildung
02_2017
Studien wurden in den letzten fünf Jah-
ren die meisten seiner Aussagen unter-
mauert. Demnach täuscht der Eindruck,
dass das Internet nach und nach für
eine einheitliche „Weltkultur“ sorge. Die
grundlegenden, tief verankerten Werte
einer Kultur, die in den ersten zehn Le-
bensjahren verinnerlicht werden, steuern
das Verhalten lebenslang. Unterschiede
zwischen den Ländern überdauern nach
neuesten Studien ganze Generationen.
Folgende sechs Kulturdimensionen (nach
Geert Hofstede) sind für Unternehmen,
die weltweit aktiv sind oder deren Beleg-
schaft „zu Hause“ kulturell divers zusam-
mengesetzt ist, im Alltag relevant:
Kulturdimension
„Machtdistanz“
Helmut Kohl und Jacques Chirac waren
etwa zeitgleich in Skandale verwickelt.
Chirac blieb im Amt, Kohl musste gehen.
In Ländern, die wie Deutschland einen
partizipativen Führungsstil mit eher nied-
riger Machtdistanz für gut und richtig
halten, gilt: Als Vorgesetzter erfüllst Du
eine Funktion und wenn Du die schlecht
erfüllst, akzeptieren wir Dich nicht mehr
als Chef. Die Mitarbeiter erwarten außer-
dem, in Entscheidungsprozesse einbezo-
gen zu werden. Frankreich weist im Mit-
tel eine deutlich höhere Machtdistanz als
Deutschland auf. Vorgaben von oben und
die Person des Chefs werden insgesamt
weniger infrage gestellt.
Diese Kulturdimension dreht sich letztlich
um die Frage: „Wie viel Ungleichheit darf
und kann zwischen den Menschen sein?“
Die Dimension erklärt, warum ein guter
„deutscher“ Chef im Ausland ein schlech-
ter Chef sein kann und umgekehrt. Prof.
Dr. Felix Brodbeck, LMU München, belegt
in seinem Buch „Internationale Führung“
(Springer Verlag, 2016), wie bedeutsam
kulturelle Werte und Normen für die Ef-
fizienz von Führung und damit die Pro-
duktivität von Unternehmen sind. Nur
wenige Eigenschaften eines Chefs wer-
den demnach global gleichermaßen gut-
geheißen und führen zum Erfolg. Wer
zum Beispiel in einem skandinavischen
Land (Machtdistanz niedrig) die Mitar-
beiter nicht ausreichend einbezieht, ist
schnell ein schlechter, weil autoritärer
Chef. Bezieht ein Vorgesetzter in Ländern
mit hoher Machtdistanz (zum Beispiel
Russland oder China) die Mitarbeiter
zu sehr und an der falschen Stelle ein,
ist er ebenso schnell ein schlechter, weil
schwacher Chef.
Kulturdimension
„Individualismus versus
Kollektivismus“
In jeder Kultur ist zu beobachten, dass
jeder vom anderen abhängig ist. Wie sehr
diese Abhängigkeit ausgeprägt ist, ist von
Land zu Land verschieden. Definiere ich
mich als total eigenständiges Individuum
(Ich-Denken) oder als Teil einer Gruppe,
meist einer Familie im tatsächlichen oder
übertragenen Sinn (Wir-Denken)? Etli-
che Studien wie zum Beispiel die 2004
erstmals veröffentlichte „Globe-Studie“
(16.000 Manager wurden in 62 Ländern
befragt) konnten die Gültigkeit der Di-
mension „Individualismus versus Kollek-
tivismus“ eindrucksvoll belegen.
Beispielsweise dauern in Teams mit über-
wiegend individualistischer Wertehaltung
der Teilnehmer Entscheidungsprozesse
oft länger, weil jeder seine Idee durchset-
zen will. Aufeinander hören, ausreden
lassen oder Sachlichkeit gehören nicht
zu den Primärtugenden von Teams, die
aus Individualisten bestehen. Studien
04.
Unsicherheitsvermeidung:
vom Sicherheitsbedürfnis zur
Toleranz der Uneindeutigkeit
05.
Zeitperspektive:
von der
Langzeitorientierung zur
Kurzzeitorientierung
06.
Genussseite des Lebens:
von
der Genussorientierung zur
Selbstbeschränkung
Wir sind Exportweltmeister! Und nicht
nur unsere Konzerne tummeln sich fern
der Heimat, sondern auch immer mehr
Mittelständler sind im Ausland aktiv. Im
Jahr 2016 stieg ihr Anteil auf stolze 54,2
Prozent der mittelständischen Wirtschaft.
Interkulturelles Wissen ist in den letzten
Jahren für die ganze deutsche Wirtschaft
überlebenswichtig geworden.
Im Sommer 2017 wird die „Bibel“ der „in-
terkulturellen Zusammenarbeit“ in der
sechsten Auflage erscheinen. Sie trägt den
Titel „Lokales Denken, globales Handeln“
und wird im Deutschen Taschenbuch Ver-
lag (DTV), München, erscheinen. Auto-
ren sind die Professoren Geert Hofstede,
Gert Jan Hofstede und Michael Minkov.
Die renommierten Professoren und Ex-
perten für internationales Management
haben aktuelle Forschungsergebnisse,
Validierungsstudien sowie die Länderin-
dizes zu Hofstedes Kulturdimensionen
(inklusive der neuen Dimension „Genuss
versus Zurückhaltung“) in die neue deut-
sche Auflage eingearbeitet.
„Kulturdimensionen“ sind in jedem Land
unterschiedlich ausgeprägt, weil in jedem
Land unterschiedliche Werte, Denkwei-
sen und Handlungsmuster vorherrschen.
Als Begründer der statistisch belegten in-
terkulturellen Forschung hatte der Hollän-
der Geert Hofstede Ende der Sechziger-
jahre des letzten Jahrhunderts die Idee,
eine weltweit bei 116.000 IBM-Mitarbei-
tern durchgeführte Mitarbeiterbefragung
faktorenanalytisch nach ländertypischen
Antwortmustern zu durchsuchen. Dabei
stieß er zunächst auf vier Kulturdimensi-
onen. Später kamen zwei weitere hinzu.
Obwohl Hofstede in den vergangenen
Jahren häufig attackiert wurde, gilt seine
Forschung inzwischen wieder als hoch
aktuell. In zahlreichen internationalen
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