titelthema
22
wirtschaft + weiterbildung
02_2017
Kulturdimension
„Langzeit- versus Kurzzeitorientierung“
Diese Dimension liefert erhellende Ein-
sichten, wenn man sich für Firmenstrate-
gien, Investitionen, Nachhaltigkeit sowie
Belohnungs- und Bewertungssysteme
interessiert. Die Frage lautet: „Welcher
Zeithorizont bestimmt das Handeln der
Menschen?“ Das Prinzip des „Sharehol-
der Value“ zielt auf eine Gewinnmaximie-
rung der Anteilseigner und funktioniert
mit einem permanenten, kurzfristigen
Ist-Soll-Abgleich. Deutschland, mit einem
großen Anteil familiengeführter, mittel-
ständischer Unternehmen, denkt (wie die
Überarbeitung der Hofstede-Länderwerte
2007 richtigstellt), insgesamt eher lang-
zeitorientiert. Ein traditionelles Familien-
unternehmen investiert oft mit Blick auf
künftige Generationen und nimmt dafür
auch mal eine Durststrecke in Kauf. Fusi-
onieren zwei Unternehmen, die hier un-
terschiedlich ticken, sind Probleme vor-
programmiert. Auch ein Börsengang stellt
nicht selten das gesamte Wertesystem
eines Unternehmens auf den Kopf und
führt zu massiven internen Konflikten
und einer schlagartig erhöhten Fluktuati-
onsrate der Mitarbeiter.
Wie schwierig es sein kann, bei einer Fu-
sion gegen die Kräfte der kulturellen DNA
eines Unternehmens agieren zu wollen,
beschreibt Gert Jan Hofstede im Jahr 2015
in einem wissenschaftlichen Beitrag. Ge-
schildert wird der Fall eines langzeitorien-
tierten holländischen Unternehmens, das
nach der Übernahme durch einen kurz-
zeitorientierten englischen Konzern auch
dessen Belohnungssystem übernehmen
musste. Die Holländer bezeichneten das
UK-Incentive-System abfällig als „Kassen-
kultur“. Eigene Werte, wie Nachhaltigkeit
und die Barmherzigkeit, einen vorüber-
gehenden Leistungsabfall einzelner Mit-
arbeiter auszuhalten, wurden im neuen
System nicht mehr wertgeschätzt. Beim
englischen Käufer mag man umgekehrt
wenig Verständnis dafür gehabt haben,
dass jemand „durchgefüttert“ wird. Beide
Sichtweisen haben ihre Berechtigung und
sollten bewusst diskutiert werden.
Neue (!) Kulturdimension
„Genuss versus Zurückhaltung“
Gesellschaften, die bei dieser Dimension
im internationalen Vergleich auf der „Ge-
nussseite“ liegen, erlauben ihren Mitglie-
dern, ihre Bedürfnisse weitgehend nach
eigenem Gutdünken frei auszuleben. Eine
genussorientierte Freizeitgestaltung, of-
fenere Sexualität, buntere Kleidung und
ein insgesamt optimistischer Blick auf
die Welt herrschen vor. In Gesellschaften
mit hoher Zurückhaltung wird dagegen
ein allzu lockerer Umgang mit Lust eher
kritisch gesehen und allzu optimistische
Aussagen werden skeptisch betrachtet
(„Ja, aber …“). Die Freizeit ist oft regle-
mentiert durch familiäre Verpflichtungen
R
Gipfeltreffen mit Hofstede, Minkov und Brodbeck
Folgende Professoren haben ihre Teilnahme an dem Work-
shop
r unter dem Motto „Wissenschaft
trifft Praxis“ steht, zugesagt:
·
Geert Hofstede
(Der 88-jährige Wissenschaftler begrün-
dete vor runf 40 Jahren die empirische interkulturelle For-
schung mit seiner legendären IBM-Studie)
Event.
Am 17. Februar findet in der Ludwig-Maximilians-Universität in München ein interkulturelles
Gipfeltreffen von namhaften Experten des globalen Managements statt.
Location.
Hier im Zentralgebäude der LMU – Ludwig-Maxi-
milians-Universität München (Geschwister-Scholl-Platz 1)
werden Kulturforscher auf HR-Praktiker treffen.
·
Gert Jan Hofstede
(Geert Hofstedes Sohn hat sich unter
anderem mit PC-Simulationen zu den Wirkmechanismen
in unterschiedlichen Kulturen befasst)
·
Michael Minkov
(Er forscht an der Varna Management
Universität Sofia und half mit, die „Länderwerte“ von Hof-
stede zu validieren und teilweise zu aktualisieren)
·
Felix Brodbeck
(Der Lehrstuhlinhaber für Arbeits- und
Organisationspsychologie an der Münchner Ludwig-Maxi-
milians-Universität wurde unter anderem als Co-Autor der
„Globe Studie“ bekannt. In seinem neuen Buch „Internati-
onale Führung“ (Springer, 2016) bereitet er die interkultu-
relle Forschung für Praktiker auf).
Die von Hofstede gefundenen „Kulturdimensionen“ wur-
den in den letzten Jahren weiterentwickelt, an neuen, sehr
großen Stichproben erprobt, geschliffen und vertieft. Brod-
beck konzentrierte sich dabei auf den Führungsaspekt.
Hofstede junior untersuchte kulturstabilisierende Mecha-
nismen. Minkov setzte auf die Analyse großer, international
verfügbarer Datensätze und stieß auf neue Phänomene.
Nach einem Professoren-Input werden Personaler genug
Zeit haben, mit den Wissenschaftlern zu diskutieren, wel-
che Forschungsergebnisse besonders relevant für HR sind.
Foto: Pichler