Wirtschaft und Weiterbildung 09/2016 - page 48

training und coaching
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wirtschaft + weiterbildung
09_2016
mungen nach jedem Projekt oder jeder
Sitzung sind gute Reflexionsmöglichkei-
ten. Reflexion braucht Ehrlichkeit gegen
sich selbst, Zeit, Vermeiden von Schuld-
zuweisungen und eine Gesprächs- und
Feedbackkultur. Es braucht auch das Vor-
bild im Sinne eines selbstreflektierenden
Managements. Das heißt, dass Erfolge
und Misserfolge offen ausgetauscht wer-
den und Reflexion institutionalisiert ge-
lebt wird. Möglichkeiten zur Reflexion
sind:
• Reviews anlässlich strategischer Mei-
lensteine durchführen
• aus Projekterfahrungen lernen (Debrie-
fing mit Trainer/Mentor)
• Formate für den Austausch von Erfah-
rungen etablieren
• Reflexionsteams gründen
• Klausurtagungen, die dem gegenseiti-
gen Feedback dienen, einberufen
• Hofnarr oder Advocatus Diaboli etab-
lieren – mit dem Auftrag, den Spiegel
vorzuhalten
• internes Benchmarking, Ergebnisse von
Befragungen nutzen
• Modelllernen und gute Beispiele erken-
nen und multiplizieren.
Bei einer Reflexion nach Abschluss von
Projekten können zum Beispiel folgende
Fragen gestellt werden: Wie zufrieden
sind wir mit dem sachlichen Ergebnis?
Aus welchen Gründen hatten wir in die-
sem Projekt Erfolg? Was waren die för-
dernden und hemmenden Faktoren? Wie
haben wir das Klima in der Projektgruppe
empfunden? Wie haben wir uns gegen-
seitig erlebt? Wie sind wir miteinander
umgegangen? Was haben wir gelernt?
Was wollen wir das nächste Mal anders
machen?
Unternehmen werden erst durch eine
ausgefeilte Reflexionskultur zu lernen-
den Unternehmen. Eine Reflexionskultur
ist weit mächtiger als traditionelles Wis-
sensmanagement, das oft techniklastig ist
und versandet. Wir lernen vor allem von
den eigenen Erfolgen und den Fehlern der
anderen, weil wir uns an unsere eigenen
Erfolge erinnern, aber unsere Misserfolge
verdrängen. Menschen versuchen, sich
ihre Welt so zurechtzulegen, dass sie ein
möglichst positives Selbstbild von sich
aufrechterhalten können. Studien zum
Operationsverhalten von Chirurgen zei-
gen, dass sie mehr aus ihren Erfolgen als
aus den begangenen Fehlern lernen. Er-
folge werden dem eigenen Handeln zuge-
schrieben, Fehler hingegen nicht bei sich
selbst gesucht, sondern bei externen Ein-
flussfaktoren, ungünstigen Umständen
oder einfach nur bei einer Pechsträhne.
Gegenüber den eigenen Fehlern ist man
blind oder man will sie nicht so genau
kennen. So kann man sich beispielsweise
fragen, was Banker aus der Finanzkrise
gelernt haben.
In turbulenten Zeiten ist es oft wirksa-
mer, aus der Box der Gewohnheiten her-
auszuspringen, loszufahren, sich Neuem
auszusetzen, rasch aus Fehlern zu lernen
und das, was sich bewährt, zu multipli-
zieren. Analog zum Radfahren gilt: Im
Stand kann man schlecht lenken. Wenn
man losfährt, wird das Lenken einfacher.
Experimente bringen in Situationen des
Wandels meist mehr als durchgeplante
Projekte. Entwicklung geschieht in der
direkten Auseinandersetzung mit kon-
kreten Problemen. „Don’t plan it, do it“,
heißt das Motto: Handeln führt häufiger
zu einer Bewusstseinsänderung als um-
gekehrt.
Die Rahmenbedingungen sind so zu ge-
stalten, dass die Mitarbeitenden die rich-
tigen Erfahrungen machen können. Sie
sollen Herausforderungen erleben, die sie
bewältigen können, und Anerkennung
für die Bereitschaft, zu experimentieren,
erhalten. Veränderungsprozesse laufen
zu Unrecht häufig unreflektiert ab. Sie
bedürfen der ständigen Beobachtung und
institutionalisierter Standortbestimmun-
gen, wie Erfolgsmessung an jedem Mei-
lenstein. Entscheidend ist, die Muster des
Wandels zu erkennen und daraus zu ler-
nen. Das Lernen selbst muss beobachtet
werden. Schnelle, kleine Erfolge (Quick
Wins) und erfolgreiche Beispiele sind die
besten Motivatoren.
Im Prozess der Veränderung spielen Er-
folgserlebnisse und das Feiern von Er-
folgen eine wichtige Rolle. Nichts wirkt
so stimulierend wie unmittelbare Erfolge
und Fortschritte. Gemeinsames Erleben
erfolgreichen Wandels ermutigt, in den
Bemühungen fortzufahren. Erfolg be-
schleunigt die Lernspirale, gibt Selbstver-
trauen und Kraft.
Experimente in der Personal-
entwicklung
Die wirksamsten Personalentwicklungs-
maßnahmen sind Herausforderungen,
die Erfahrungen vermitteln und reflek-
tiert werden. Zielführender als Seminar-
besuche sind im nichtfachlichen Bereich
neue Erfahrungen durch herausfordernde
Aufgaben. Die Frage ist nicht, welche
Trainings ein Mitarbeitender noch besu-
chen sollte, sondern welche Erfahrungen
er noch machen muss. Transferprob-
leme lassen sich durch die Bearbeitung
realer Probleme in Projekten vermeiden.
Projektarbeit verbindet die konkrete Pro-
blemlösung mit Weiterbildung.
Wenn die Projektarbeit reflektiert wird,
profitieren sowohl die Mitarbeitenden als
auch das Unternehmen. Die Mitarbeit in
erfolgreichen Projektteams führt oft zu
intensiven Lernerlebnissen. Weitere Mög-
lichkeiten zu neuen Erfahrungen sind
herausfordernde Aufgaben, Job Rota-
tion, spiralförmige Karriereentwicklung,
Seitenwechsel und Outdoorprogramme.
Experimentieren und Reflektieren sind
entscheidende Grundlagen des Lernens.
Ohne Handeln keine Erfahrung und ohne
Reflexion kein Lernen. Führungskräfte
und Mitarbeitende sind zu ermuntern,
Neues auszuprobieren und Projekte, Pro-
zesse, Wandel und Beziehungen systema-
tisch zu reflektieren.
Jean-Marcel Kobi
R
Dr. Jean-Marcel
Kobi
ist seit 1988 Inha-
ber des Manage-
ment-Beratungs-
unternehmens J.M. Kobi & Partner. Er
gilt als Experte für die Themen Unter-
nehmenskultur, Change Management,
Personalrisikomanagement. Anfang
2016 hat er bei Springer/Gabler in
Wiesbaden das Buch „Neue Prämis-
sen in Führung und HR-Management“
veröffentlicht.
J.M. Kobi & Partner
Eichbülstrasse 2B
CH-8712 Stäfa/Schweiz
Tel. +41 44 2910241
AUTOR
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