training und coaching
52
wirtschaft + weiterbildung
09_2016
sen Situationen lautet die entscheidende
Frage, die sich Manager stellen sollten:
„Wie viel Zeit hat das System beziehungs-
weise gewährt mir die Situation, um eine
Lösung zu erarbeiten?“ Abhängig von der
Antwort müssen sie mehr oder weniger
agil oder autoritär handeln.
Führungsstil 2:
Das Delegieren und das
Lehren.
Die Situation ist planbar. Die Führungs-
kraft handelt entweder selbst als Experte
oder delegiert die Verantwortung hierfür
an einen Experten. Lehren meint: Die
Führungskraft gibt die eigene Expertise
als Mentor an Mitarbeiter weiter. In der
Einarbeitungsphase neuer Mitarbeiter
oder wenn diese neue Aufgaben überneh-
men, ist dieser Führungsstil meist ange-
messen. Die Führungskraft definiert die
Ziele und gibt Feedback. Und wenn der
Mitarbeiter über das nötige Wissen und
Können verfügt? Dann delegiert sie auch
die Verantwortung für die Aufgabe an
ihn. In vielen Führungstrainings in den
zurückliegenden Jahrzehnten wurde der
Eindruck vermittelt, dieser Führungsstil
sei in fast allen Führungssituationen –
außer Krisensituationen – angebracht. Im
Betriebsalltag gibt es jedoch auch viele
Routineprozesse, die schlicht gemanagt
werden müssen.
Führungsstil 3:
Das Managen.
Die Situation ist überschau- und planbar.
Die Führungskraft führt prozesshaft, um
die Mitarbeiter mitzunehmen und deren
Intelligenz zu nutzen. Eine Situation ist
überschaubar, wenn aufgrund der äuße-
ren Einflussfaktoren ein klares Ziel defi-
niert werden kann. Je klarer das Ziel be-
stimmt werden kann, umso stärker grei-
fen Elemente des Projektmanagements.
Die Führungskraft agiert teilweise wie
ein Projektmanager und managt den Pro-
zess zur Zielerreichung – unter anderem,
indem sie mit ihrem Team Meilensteine
auf dem Weg zum Ziel definiert und
deren Erreichen feiert.
Führungsstil 4:
Das agile Führen.
Die Situation ist unklar und ungewiss.
Die Führungskraft führt prozesshaft. Die-
ser Führungsstil ist angesagt, wenn in
einer Situation weder das Ziel noch der
richtige Weg dorthin von der Führungs-
kraft oder anderen Experten beschrieben
werden kann – zum Beispiel aufgrund
der vielen Einflussfaktoren oder komple-
xen Ausgangslage. Statt zu versuchen,
alle Einflussfaktoren zu erfassen und
die Komplexität mithilfe von Planung
zu managen, ist es dann zielführender,
im Agieren zu lernen – also zügig in die
Umsetzung zu gehen und beim Gehen zu
lernen.
Ein Lernen durch Ausprobieren, Schei-
tern, Reflektieren und Verbessern, prak-
tizieren Kleinkinder, wenn sie lernen,
aufzustehen. Wie dies genau geht, kön-
nen wir Kindern in diesem Alter nicht
wirklich erklären. Wir können sie bei
diesem Lernprozess nur unterstützend,
motivierend begleiten. Denn der Prozess
des Aufstehens ist komplex, und es gibt
Hunderte von Möglichkeiten, wie man
vom Boden in eine Standposition kom-
men kann. Wichtig ist das Ergebnis und
nicht der Weg. Agiles Führen macht Sinn,
wenn
• es viele Einflussfaktoren gibt, die kaum
zu berechnen sind,
• es an der Zeit ist, die eigene Expertise
für die Lösung zu hinterfragen,
• die Führungskraft auf die Weisheit des
Teams vertrauen darf,
• Ausprobieren, Testen und Lernen eine
gute Alternative zum Planen und Ma-
nagen sind, um zu neuen, kreativen
Ideen und Lösungen zu gelangen.
Überträgt man das oben erwähnte Klein-
kind-Beispiel auf die Haltung einer agilen
Führungskraft, hat sie zahlreiche Mög-
lichkeiten, ihr Team in Bewegung zu brin-
gen. Sie sollte dabei klar machen, dass sie
das Team in Bewegung bringen möchte,
einen Rahmen (zeitlich, themenzentriert)
für das Entwickeln einer Lösung setzen
und am Ende eine Entscheidung herbei-
führen will.
Fallbeispiel: Agile Führung ist
keine Demokratie
„Agil führen“ heißt, Gruppen für eine
komplexe Herausforderung zu begeistern
und die Intelligenz der Gruppe zu nutzen.
Dabei kann sich die Führungskraft am
Ende des Prozesses auch für eine Min-
derheitenmeinung im Team entscheiden.
Wichtig ist, sie führt eine Entscheidung
herbei. Ein Beispiel: Ein neues Produkt
soll mithilfe des Vertriebsteams im Markt
eingeführt werden. Das klassische Füh-
rungsverhalten wäre: Die Führungskraft
entwickelt alleine oder unterstützt von
ein, zwei Experten einen Plan für die
Produkteinführung und eine Strategie für
die Kundenansprache. Diese werden den
Verkäufern in einem Meeting vorgestellt.
Nach einer kurzen Diskussion werden
der Plan und die Strategie den Mitarbei-
tern verordnet. Bei einem solchen Vorge-
hen sind der Lerneffekt und die Motiva-
tion zur Umsetzung meist niedrig.
Agile Führung würde so aussehen: Die
Führungskraft stellt zum Beispiel das
Produkt und die mit seiner Einführung
verbundene Herausforderung dem Ver-
triebsteam vor. Dieses teilt sich dann in
drei Untergruppen auf, die verschiedene
Strategien der Kundenansprache erarbei-
ten. Diese werden anschließend in einer
Praxisphase bei ausgewählten Kunden
getestet und die Erfolge dann in einem
Review-Meeting reflektiert. Bei einem sol-
chen Vorgehen ist die Identifikation mit
der Lösung höher und das Expertenwis-
sen wird breiter genutzt. Zudem kommt
das Team schnell ins Handeln, also Aus-
probieren und Tun. Damit Führungskräfte
– nicht nur im Vertrieb – einen solchen
Führungsstil leben können, müssen sie
sich aber oft erst in Richtung prozesshaf-
ter Führung öffnen.
Klaus Kissel
R
Klaus Kissel
ist einer der bei-
den Geschäftsfüh-
rer des IFSM-Insti-
tuts für Sales- und
Managementberatung, das Unterneh-
men unter anderem in den Bereichen
Personal- und Organisationsentwick-
lung unterstützt. Er ist Autor des Buchs
„Das Prinzip der minimalen Führung“
(Windmühle Verlag, 2011).
IFSM-Institut für Sales- und
Managementberatung
Uwe Reusche, Klaus Kissel
Klostergut Besselich, 56182 Urbar
Tel. 0261 9623641
AUTOR