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wirtschaft + weiterbildung
09_2016
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Reden Sie jetzt von Kindern oder von
Erwachsenen?
Breithaupt:
Dieser digitale Lehrer wird
uns fortwährend über das ganze Leben
begleiten. Das heißt, man geht nicht nur
für eine bestimmte Zeit durch die Schule,
sondern kann mit dieser einen Stimme
immer weiter wachsen. Auch wenn man
als 50-Jähriger im Beruf plötzlich eine be-
stimmte Situation hat, in der man nicht
weiter weiß, kann einem die Stimme im
Idealfall dabei helfen, sich zu erinnern.
Der digitale Lehrer speichert, was wir frü-
her schon einmal gelernt oder worüber
wir uns unterhalten haben. Er kennt
genau den Wissensstand eines Menschen
und kann sich mit Beispielen darauf be-
ziehen. Der Computer wird vermutlich
nie ganz perfekt sein, es wird sicher auch
mal Quatsch dabei herauskommen. Aber
sobald das System anfängt, sich zu per-
fektionieren, wird das Lernen absolut
individualisiert. Derzeit haben wir in
Schulen, Universitäten und bei sonstigen
Weiterbildungen ja die klassische Situa-
tion, dass ein Mensch redet – der Leh-
rer; Professor, Ausbilder, Trainer – und
sehr viele zuhören. Entweder die Lerner
kennen das meiste schon oder das Lern-
tempo geht ihnen zu schnell. Beim digi-
talen Lernen bekommt jeder das, was er
gerade braucht.
Man sitzt also nie mehr gelangweilt in
Weiterbildungen, weil der Lernstoff am
eigenen Bedarf vorbeigeht?
Breithaupt:
Wenn das funktioniert, dann
ist das so, ja. Im 17. und 18. Jahrhundert
hatten Könige und Prinzen einen Hof-
meister, später gab es sowas auch in der
Ausbildung für den hohen Mittelstand.
Da wurde individuell gelehrt. Wer einen
Lehrer hatte, der gut zuhörte und mit-
bekam, wo man vom Bildungsstand her
war, erhielt die beste Weiterbildung, die
man sich vorstellen kann.
Uns steht also eine recht rosige
Lernzukunft bevor?
Breithaupt:
Es kommt darauf an, wie wir
mit diesen neuen Systemen umgehen.
Ich propagiere diese Entwicklung nicht,
sondern halte das einfach für eine kon-
sequente zwangsläufige Entwicklung.
Sehen Sie sich nur den aktuellen Hype
um Pokémon Go an, bei dem jeder sich
nur noch mit seinem Smartphone be-
schäftigt. Solche Entwicklungen kann
man nicht aufhalten. Es wird effizienter
sein, mit einem digitalen Lehrer zu lernen
und er wird viele Dinge leisten können,
die wir derzeit nicht leisten. Das sehe ich
ein bisschen selbstkritisch, denn der Uni-
versitätsunterricht scheitert immer noch
an größeren Gruppen. Selbst im glückli-
chen Fall, dass wir nur 20 Studenten im
Kurs haben, ist das eigentlich noch viel
zu groß, wenn wir wirklich alle Leute
zum Reden bringen möchten. Selbst
Gruppenarbeit kann das nur teilweise
ausgleichen.
Dieser digitale Lehrer muss also nur
noch mit ganz vielen Daten, Wissen und
Sprache gefüttert werden, um Erfahrung
zu sammeln und sein Gegenüber kennen
zu lernen – dann ist er einsatzbereit?
Breithaupt:
Im Grunde stehen schon
die wichtigsten Komponenten, die wir
technisch dafür brauchen, bereit: eine
gute Spracherkennung und ungeheuer
viel digitales Wissen wie auf Wikipedia
zum Beispiel. Was noch fehlt, sind in der
Tat viele aufgenommene Lerndialoge,
aus denen das System selbst lernt. So-
bald Google, Coursera oder eine andere
dieser MOOC-Firmen, damit anfangen,
Schüler-Lehrer-Dialoge in riesigem Stil
zu speichern, könnte der digitale Lehrer
Realität werden. Da muss jemand noch
investieren und Vorarbeit leisten, aber im
Vergleich zu den Investitionen, die für
manchen MOOC getätigt werden oder die
Google für andere Sachen ausgibt, scheint
das einfach machbar.
Für den Datenschutz ist es nicht unerheb-
lich, wer sich auf das Thema stürzt …
Zukunft Personal.
Die Messe „Zukunft Personal“ (18. bis
20. Oktober in Köln) bietet nicht nur rund 650 Ausstellern
Platz. Es werden auch zehn Bühnen aufgebaut. Hier gibt es
an den drei Messetagen rund 450 Vorträge, Diskussionen
und interaktive Formate
Der Vortrag von Prof. Dr. Fritz Breithaupt trägt den Titel:
„The Talking Method. The Future of Learning in the Digital
World” (Englisch). Er findet am Mittwoch, 19. Oktober, von
12 bis 12.45 Uhr im Trendforum „Corporate Learning &
Working“ in der Messe Köln in Halle 2.2 statt.
Im Anschluss gibt es eine Gegenrede von Prof. Dr. phil. Ralf
Lankau von der Hochschule Offenburg. Er hält den Vortrag
„Digitales Lernen: Dot-Com-Phantasien versus Pädagogik“.
Lernexperte Lankau warnt vor manipulativen Systemen und
dem Heranziehen von Sozial-Autisten. Breithaupts Compu-
ter züchteten „Bildungshamster“, denen nichts fehle bis auf
das Glück der Erkenntnis.
Der Gegenvortrag beginnt am Mittwoch, 19. Oktober, um
13 Uhr. Ort der Veranstaltung ist natürlich ebenfalls das
Trendforum „Corporate Learning & Working“.
Pro und Contra Breithaupt
„Sobald Google, Coursera oder andere damit anfangen,
Schüler-Lehrer-Dialoge in großem Stil zu speichern,
könnte der digitale Lehrer Realität werden.“