wirtschaft + weiterbildung
09_2016
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gen Gesicht mit hoher Auflösung. Diese
übertriebene Vermenschlichung finde ich
aber eher unheimlich, weil da die Grenze
zwischen Mensch und Maschine ver-
schwimmt. Da ist eine Stimme sicherer
als Abgrenzung. Roboter können schon
emotionale Strukturen einbauen und
sagen „das war jetzt gemein, was Du ge-
sagt hast“.
Lernen hat immer etwas mit Emotion zu
tun. Der Lernende will gelobt werden
oder muss auch mal die Frustration füh-
len, dass er da jetzt nicht durchkommt.
Der digitale Lehrer könnte auch insofern
menschenartig sein, dass er Augen hat,
die hoch und runter gehen – aber eher
schematisch und ikonenhaft. Es sollte
nicht so weit gehen, dass wir das System
als echte Person wahrnehmen – da ist für
mich eine ethische Grenze. Doch wenn
der Markt die Entwicklung bestimmen
wird, könnte es sein, dass sich die Men-
schen anders entscheiden.
Welche Folgen werden die neuen
Lernsysteme für die berufliche Aus- und
Weiterbildung haben?
Breithaupt:
Derzeit ist Weiterbildung für
Firmen sehr teuer. Wenn ein Mitarbeiter
irgendwelche Trainingsmodule machen
soll, muss er in der Zeit freigestellt wer-
den. Es gibt hochspezialisierte Coachs,
die viel Geld kosten – gerade wenn die
Weiterbildung individuell und nicht in
Gruppen sein soll. Denken Sie auch an
die Reisekosten. Das kann natürlich
durch solche digitalen Angebote wesent-
lich billiger werden. Der Druck auf die
Arbeitnehmer wird wachsen, sich in der
Freizeit weiterzubilden und hier und da
noch mal eine Stunde dafür aufzubrin-
gen. De facto wird das mehr Zeit sein, die
wir im Beruf mit Weiterbildung verbrin-
gen.
Der Lerndruck wird insgesamt steigen,
weil jeder bis zu einem gewissen Grad
mitmacht. Da müssen wir uns vor schüt-
zen. Mein Freund und Kollege Hartmut
Rosa warnt da seit Jahren vor den Effek-
ten der Beschleunigung. Gleichzeitig gibt
es aber auch Vorteile für das berufliche
Vorankommen, denn jeder kann dann ir-
gendwelche Zertifikate erwerben, wenn
er ein gewisses Lernniveau erreicht hat.
Das heißt, nicht mehr der Chef wählt aus,
wen er zum Traineeprogramm schickt.
Das ist eine Art Demokratisierung des
Lernens. Auch Quereinsteiger haben
dann in vielen Berufen eine bessere
Chance. Wir werden immer weniger fest-
gelegt sein.
Diese Systeme könnten also mit über
Karrieren und Berufswege entscheiden.
Was haben Menschen zu befürchten,
wenn sie diese Systeme ablehnen und
nicht mitmachen?
Breithaupt:
Die Leute, die das nicht ma-
chen, werden vielleicht insofern einen
Nachteil haben, dass sie ihre Kenntnisse
nicht ganz so schnell aktualisieren. Denn
diese Systeme können Neuheiten relativ
schnell aufnehmen. Allerdings werden
diejenigen, die keinen digitalen Lehrer
haben, wahrscheinlich diejenigen sein,
denen Bildung sehr wichtig ist. Sie wol-
len zeigen, dass sie das anders können
und werden dann vielleicht sogar schnel-
ler lernen als andere, um das überzukom-
pensieren. Die werden dann ein Buch
aus dem Regal ziehen. Das ist doch auch
großartig. So kann es positive Effekte für
beide Seiten haben. Vielleicht ist das aber
zu idealistisch gedacht. Sobald die Chefs
Zugriff auf die Daten haben, können sie
als Big Brother eben die Menschen aus-
wählen, die alle Qualifikationen erfüllen.
Damit wächst der Druck zum Mitmachen
für alle.
Inwiefern ist es gut oder vielleicht auch
schlecht, dass wir dann selbst
entscheiden, was wir lernen?
Breithaupt:
Prinzipiell ist Entscheidungs-
freiheit natürlich gut. Dennoch ist es auch
weiterhin wichtig, dass staatliche Ins-
titutionen und Schulen, die Inhalte von
Bildung und Ausbildung vorgeben. Es
muss schon eine gewisse Kontrolle geben
oder eine bestimmte Anerkennung dafür,
dass man Lernschwellen überschreitet.
Basiswissen wird nicht abgeschafft. Nur
die Möglichkeiten, wie man zu dem Ba-
siswissen hinkommt, werden vielfältiger
werden.
Die Gefahr einer einseitigen
Spezialisierung sehen Sie da nicht?
Breithaupt:
Da gibt es Spannungen, ganz
klar. Aber die haben wir derzeit auch
schon – zum Beispiel in den Schulen.
Es geht ja darum, was wir wirklich fürs
Leben brauchen. Muss jeder Goethes
Faust kennen, ja oder nein? Dass dies
die Schulbehörden entscheiden, ist rich-
tig. Dennoch ist es auch wünschenswert,
dass wir beim Lernen mehr mitbestim-
men können. In den meisten Schulen
haben wir bislang nicht so viel Auswahl.
Was ist denn Ihre Motivation, sich mit
dem Thema Digitalisierung des Lernens
zu beschäftigen?
Breithaupt:
Da überschneiden sich bei
mir drei verschiedene Interessen. Als Leh-
render bin ich hier an unserer Universität
in einem Think Tank, in dem wir immer
wieder darüber nachdenken, was man in
der Lehre verbessern kann und was sich
in Zukunft verändern wird. Wir treffen
uns dauernd und diskutieren das. Außer-
dem habe ich zwei inhaltliche spezifische
Interessen daran. Zum einen interessiere
ich mich als Empathieforscher dafür, wie
Empathie entsteht.
Zum anderen beschäftige ich mich als
Kulturgeschichtler und Germanist mit der
inneren Stimme, die etwa als Gewissen
bis um 1800 eine Leitgröße für die Men-
schen war, für Goethe zum Beispiel. Für
mich ist der digitale Trainer eine Dialogfi-
gur wie Mephistopheles: ein Gegenüber,
mit dem man dauernd im Gespräch sein
kann und das selber an sich höchst dia
bolisch ist. Mephistopheles kann man
nicht trauen. Er ist nicht nur der Lehrer,
sondern auch die unheimliche Maschine,
die einem gegenübersteht – und vereint
quasi das Gute und das Böse der Tech-
nik miteinander. Diese Figur ist uns im
großen kulturellen Rahmen abhandenge-
kommen. Womöglich kommt sie nun mit
dem digitalen Lehrer in ähnlicher Form
zurück.
Interview: Stefanie Hornung
„Beim Lernen geht es darum, was wir wirklich für
unser Leben brauchen. Muss jeder Goethes Faust
kennen, ja oder nein?“