Wirtschaft und Weiterbildung 09/2016 - page 51

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wirtschaft + weiterbildung
09_2016
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und deshalb planbar oder eher ungewiss?
Bin ich als Führungskraft eher als exper-
tenorientierter Leiter gefragt oder ist eine
prozesshafte Führung angesagt? Vor einer
genaueren Betrachtung dieser Führungs-
situationen und -stile gilt es jedoch zu
klären: Wann ist eine Situation ungewiss
und nicht überschaubar?
Ungewissheit ist ein Zustand, der von fol-
genden Situationen unterschieden wer-
den sollte:
a) Eine Situation ist riskant:
Eine Situation
ist riskant, wenn sie mit Risiken behaf-
tet ist, also ein Schaden entstehen kann.
Rauchen ist zum Beispiel riskant – jedoch
nicht ungewiss. Denn die mit dem Rau-
chen verbundenen Risiken sind bekannt
und abschätzbar. Risiken sollte man ver-
meiden oder minimieren. Hierbei können
Experten helfen.
b) Eine Situation ist unsicher:
Eine Situ-
ation ist unsicher, wenn Risiken beste-
hen, jedoch unklar ist, ob der Schaden
eintritt. In Zusammenhang mit dem Rau-
chen sollte man nicht von „unsicher“
sprechen, denn die Wahrscheinlichkeit
einer gesundheitlichen Schädigung ist auf
Dauer sehr hoch. Das Wetter hingegen
ist oft eine unsichere Angelegenheit, der
man jedoch mit Maßnahmen (wie ange-
messener Kleidung, Blitzableiter) begeg-
nen kann. Das heißt, auch hier sprechen
wir von einer Situation, in der der mög-
liche Schaden vorhersehbar und (meist)
vermeidbar ist.
c)
Eine Situation ist hingegen ungewiss,
wenn ein Erheben und Berechnen aller
Einflussfaktoren nebst ihren Wechselwir-
kungen nicht möglich ist. Also kennen
wir auch nicht die Risiken, die damit ver-
bundenen potenziellen Schäden und die
Wahrscheinlichkeit, dass sie eintreten.
Deshalb ist die Situation nicht planbar.
Mehr ungewisse Situationen
In unserer sich immer schneller verän-
dernden Welt nehmen die Zustände von
Ungewissheit im Betriebsalltag zu. Für
das Management steigt somit die Kom-
plexität. Weiterhin gilt jedoch: Nicht alle
Führungssituationen sind komplex. Die
meisten Situationen und Aufgaben sind
weiterhin überschau- und planbar. So
gibt es zum Beispiel in der Buchhaltung
wenig unplanbare Situationen und Auf-
gaben, die eine agile Führung erfordern.
Ungewissheit besteht im Management
jedoch häufig
• bei strategischen Fragen,
• bei Fragen des Change-Managements,
• in Situationen, in denen viele Interes-
sen und Einflussfaktoren zu beachten
sind und zügig zu handeln ist.
Hier ist das agile Führen eine gute Alter-
native zu einer unsicheren oder unmögli-
chen Planung.
Welcher Führungsstil?
Hierfür ein aktuelles Beispiel: die Flücht-
lingskrise. Bei ihr ist eine mittel- und
langfristige Planung nur bedingt möglich
– aufgrund der vielen Einflussfaktoren,
Stakeholder und des akuten Handlungs-
drucks. Bei ihr musste die Politik zumin-
dest im vergangenen Jahr, als plötzlich
Millionen Flüchtlinge kamen, „auf Sicht
fahren“. Ähnlich ist es in Unternehmen.
Auch in ihnen gibt es zunehmend Situa-
tionen, in denen zum Beispiel längerfris-
tige Zielvereinbarungen unsinnig sind,
weil die Situation ungewiss ist.
Das bedeutet jedoch nicht, dass Ziel-
vereinbarungen generell unsinnig sind.
Insbesondere für das Managen des All-
tagsgeschäfts haben sie weiterhin ihre
Funktion. Welcher Führungsstil bezie-
hungsweise welches Führungsverhalten
angemessen ist, hängt von der Führungs-
situation ab. Generell lassen sich vier
Führungsstile unterscheiden (siehe auch
obige Grafik):
Führungsstil 1:
Das Agieren.
Die Situation ist chaotisch, also ungewiss.
Die Führungskraft ist als expertenorien-
tierter Leiter und Entscheider gefragt. In
chaotischen, also ungewissen Situationen
geht es nicht so sehr darum, ob eine Füh-
rungskraft alle Fragen beantworten und
entscheiden kann. Entscheidender ist:
Die Situation erfordert eine rasche Ent-
scheidung und ein entschiedenes Han-
deln. In solchen Situationen – also zum
Beispiel Krisensituationen – ist eine di-
rektive Führung nötig. Eine prozesshafte
Führung wäre falsch. In solchen Situatio-
nen muss die Führungskraft das Ruder an
sich reißen, rasch Entscheidungen treffen
und klare Anweisungen erteilen.
Hierfür ein Beispiel: Am 11. September
2001, als die Türme des World Trade Cen-
ters in New York einstürzten, war dieser
Führungsstil gefragt. Deshalb wurde der
entschieden und (scheinbar) autoritär
handelnde Bürgermeister von New York
zum Star. Seine (einsamen) Entscheidun-
gen hätten jedoch auch falsch sein kön-
nen, denn die Situation und ihre Auswir-
kungen waren ungewiss. Dieses Risiko
müssen Führungskräfte in solchen Situ-
ationen tragen: Sie können zum Helden
oder Sündenbock werden. In ungewis-
Hohe Kunst: Prozesshafte Führung
Führungsquadrant.
Welcher Führungsstil angemessen ist, hängt von
der Situation ab. Die hohe Kunst ist das „agile“ Führen: Die Lage ist
ungewiss und die Situation ist so komplex, dass Versuch und Irrtum –
verbunden mit intelligenten Lernschleifen – angeraten ist.
Quelle: IFSM-Institut
Expertenorientierte Führung
Prozesshafte Führung
Ungewiss
Gewiss
Agieren
Agil
Delegieren
und Lehren
Managen
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