Wirtschaft und Weiterbildung 09/2016 - page 37

wirtschaft + weiterbildung
09_2016
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es an vielen Stellen wichtig, eine Haltung
des „Was ist, darf sein“ zu entwickeln.
Gleichzeitig muss jeder in der Lage sein,
Impulse, die nicht situationsgerecht sind,
auch verneinen und gezielt bremsen zu
können.
Leitprozess „Verstehen“
(plausibel/unplausibel)
Die Wahl, die zu entscheiden ist, lautet:
„Was verstehe ich (nicht)?“ Jeder Mensch
ordnet ständig sein Leben – durch das
Erstellen von Zusammenhängen, Kausali-
täten, Mittel-Zweck-Kalkulationen, Wün-
schen und Zielen. Dabei kann man wäh-
len, ob man sich etwas verplausibilisiert
oder es im Unplausiblen belässt. Etwas
unplausibel zu halten, ist unabdingbar,
will man sich nicht jede Handlungsmög-
lichkeit durch Dauerreflexion nehmen.
Andererseits: Verstehen zu ermöglichen,
ist eine Kernaufgabe jedes Beraters.
Leitprozess „Selbstausdruck“
(verbergen/zeigen)
Die Frage lautet: „Was zeige ich (nicht)?“.
Ein Leben in sozialen Rollen ist nur mög-
lich, wenn man beides kann: Zeigen, was
man zeigen möchte, und verbergen, was
man verbergen möchte.
Leitprozess „Bedürfnisregulation“
(hemmen/fördern)
Die Wahl, die zu entscheiden ist, lautet:
„Was will ich (nicht)?“ Zur Eigendyna-
mik eines psychischen Systems gehört es,
kontinuierlich die eigenen Bedürfnisse
zu regulieren. Bedürfnisse fungieren als
eine Art Signalsystem. Sie werden ständig
entweder gefördert oder gehemmt. Natür-
lich ist beides gleichermaßen wichtig, um
passend auf die jeweilige Situation reagie-
ren zu können.
Leitprozess „Selbstwahrnehmung“
(prägnant/diffus)
Die Wahl, die zu entscheiden ist, lautet:
„Wie spüre ich (nicht)?“. Nur wo Wahr-
nehmung ist, lässt sich etwas beeinflus-
sen und steuern. Niemand will und kann
jedoch alles spüren. Aber: Verändern
kann sich nur das, was man prägnant
wahrnimmt. Die (Wieder-)Gewinnung
einer situationsgerechten Selbstwahrneh-
mung ist ein zentraler Vorgang in Bera-
tungsprozessen.
Leitprozess „Selbstverantwortung“
(handeln/betroffen sein)
Die Wahl, die zu entscheiden ist, lautet:
„Nehme ich Einfluss (oder nicht)?“ In
der Realität hat nichts eine eindeutige
Bedeutung: Was den einen ängstigt, reizt
den anderen, was der eine mit Wut be-
antwortet, nimmt der andere mit Humor.
Jeder ist für seine Gedanken, seine Ge-
fühle, seine Absichten, seine Handlungen
und Unterlassungen verantwortlich und
entscheidet: Welche Bedeutung gebe ich
dem Erlebten? Versuche ich die Situation
zu beeinflussen? Oder fühle ich mich
von ihr gesteuert und als „Opfer“? Es
geht darum, zu wählen, wo man inner-
lich oder äußerlich handelt und Einfluss
nimmt und wo man sich als von äußeren
Faktoren betroffen erlebt, ohne sich an
ihnen aufreiben zu müssen.
Jeder Coach kann laut Eidenschink an-
hand der acht Leitprozesse schnell er-
kennen, wo bislang seine Arbeitsschwer-
punkte gelegen haben und welche As-
pekte der Psychodynamik er vielleicht
vernachlässigt hat. „Die acht Leitprozesse
zeigen, dass man bei seiner Arbeit mehr
Alternativen hat als vermutet“, so der
Coaching-Experte. Die „Metatheorie“ will
letztlich dazu beitragen, dass ein Berater
oder Coach leistungsfähiger wird, mit
Komplexität umzugehen.
Fazit:
Bei aller Wertschätzung für die voll-
brachte Methodenintegration, die Attrak-
tivität des „Metatheorie-Tools“ liegt in der
Art, wie es zum Lernen anregt: Das asso-
ziative Vorgehen ist ausgesprochen sinn-
voll, wenn man sich Zusammenhänge
selbst erschließen und aneignen will, statt
sich wie in der Schule merken zu wollen,
was man gerade gelesen hat. Jeder Be-
rater oder Coach kann so seine Fähigkeit
trainieren, in einer Beratungssituation in-
tuitiv vorzugehen statt sich an „Regeln“
zu orientieren, die einer komplexen Situ-
ation nie gerecht werden können. Im kon-
kreten Gespräch mit einem Ratsuchenden
gibt es für einen Berater oder Coach laut
Eidenschink keine andere Wahl, als selbst
zu entscheiden, was im Moment relevant
ist und was nicht. Ansonsten bleibt nur
ein Trost: Jedes Projekt beim Kunden in-
formiert den Berater immer auch darüber,
was er noch dazulernen darf.
Martin Pichler
Leitprozesse der Psychodynamik
Beispiel.
Alles, was ein Coach braucht, um die individuelle
Psychodynamik eines Coachees zu bearbeiten, steckt in den metho-
denübergreifenden acht „Leitprozessen“ von Klaus Eidenschink. Die
Leitprozesse zeigen auch, wie wichtig bestimmte Entscheidungen sind.
Quelle: www.metatheorie-der-veraenderung.info
Selbst-
ausdruck
Verbergen Zeigen
Akzeptanz
Verneinen
Ignorieren
Hemmen
Bewusst
Bejahen
Reagieren
Fördern
Unbewusst
Verstehen
Plausibel
Unplausibel
Resonanz
Selbst-
verantwor-
tung
Handeln Betroffen
Bewusst-
sein
Bedürfnis-
regulation
Selbst-
wahr-
nehmung
Prägnant
Diffus
Psycho-
dynamik
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