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wirtschaft + weiterbildung
09_2016
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Geflecht aus
Wissenselemen-
ten.
Der Nutzer
erforscht auf indi-
viduellem Weg ein-
zelne Begriffe und
den dazugehörigen
Kontext.
Klaus Eidenschink (57).
Organisations-
berater, Exekutive-Coach und Leiter des
Hephaistos Coaching-Zentrums München.
Kaum etwas ist lesenden Menschen so
vertraut, wie ein Inhaltsverzeichnis zu
Beginn eines Buches. Man weiß, wo
etwas hingehört und was Ober- und Un-
terpunkte sind. Mit dieser Darstellungs-
form brach Eidenschink. „Beratungs
situationen, die komplex, vieldeutig und
paradox sind und voller Ambiguitäten
stecken, kann man nicht linear erfassen“,
so sein Credo. Das Schema von Über-
ordnung und Unterordnung ist manch-
mal nicht nützlich. Das wussten schon
andere. So weigerte sich der Philosoph
Friedrich Nietzsche, seinen Büchern In-
haltsverzeichnisse voranzustellen und
beließ es dabei, seine Aphorismen durch-
zunummerieren. Und der im Mittelalter
lebende Mathematiker Blaise Pascal
entschuldigte sich bei seinen Lesern, er
müsse seine Gedanken „ohne Ordnung“
aufschreiben, aber deshalb geschehe dies
noch lange nicht „ohne Plan“. Im asiati-
schen Raum hat ein Denken in Geflech-
ten (französische Philosophen sprechen
von Rhizomen), in Metaphern und in
Kontextschilderungen seit Jahrhunderten
Tradition.
Für die „Metatheorie“ wurde eigens eine
Software programmiert, die es erlaubt,
beliebig viele Schlagworte in Relation
zu setzen (n:m-Beziehungen), ohne eine
hierarchische, menüartige Ordnung vor-
zugeben. Das „Metatheorie-Tool“ ver-
sucht nämlich, der hierarchischen Ord-
nung, die es in der Welt schließlich auch
nicht gibt, eine assoziative Vernetzungs-
logik entgegenzustellen. Praktisch sieht
das so aus: Man klickt auf das Startfeld
„Metatheorie-Tool“ und um diesen Begriff
werden kreisförmig sechs Hauptfelder
zum Thema „Veränderung“ angeordnet.
Wer sich zum Beispiel für die Arbeit
mit Individuen interessiert, wird (so un-
terstellen wir jetzt einmal) als nächstes
auf das Hauptfeld „Psychodynamik“ kli-
cken. Um den Begriff „Psychodynamik“
bildet sich eine Rosette mit acht Elemen-
ten. Jedes steht für einen „psychodyna-
mischen Leitprozess“ (siehe Grafik auf
Seite 37). Klickt man auf einen der Leit-
prozesse (zum Beispiel „Bewusstsein“),
dann erscheint ein erläuternder Text und
ein Link zu einem Fallbeispiel. Folgt man
der Spur „Bewusstsein“ durch weiteres
Klicken, werden neue Zusammenhänge
offensichtlich.
Ziel: 2.000 beratungsrelevante
Begriffe zu vernetzen
Im „Metatheorie-Tool“ sind derzeit fast
1.200 beratungsrelevanten Begriffe mit
fünf bis 25 anderen Begriffen verknüpft.
In der Endversion ab Herbst 2017 werden
es voraussichtlich mehr als 2.000 mitei-
nander vernetzte Begriffe sein. Bislang
kann man die Bereiche „Psychodynamik“
und „Teamdynamik“ erforschen. Der Be-
reich „Organisationsdynamik“ befindet
sich gerade im Aufbau.
Die meisten Nutzer sind sich einig, dass
man das Tool unbedingt erprobt haben
muss, um zu verstehen, was dahinter
steckt. Zu festgefahren ist die Vorstel-
lung, dass man, wenn man in einem
Menü etwas anklickt, eine hierarchische
Ebene tiefer kommt – so lange, bis nichts
mehr geht. Das „Metatheorie-Tool“ hat
keine klassische Menüstruktur, denn man
kommt nie an ein Ende. Aufgrund der
einprogrammierten Vernetzungsmöglich-
keiten öffnen sich immer aufs Neue ein
paar Türen, hinter denen sich sinnvolle
Denkanstöße verbergen.
Ein Beispiel: Beim Doppelklick auf „Psy-
chodynamik“ wird dieser Begriff grafisch
in der Mitte des Bildschirms platziert.
Darum herum ploppt eine Rosette mit
den (kreisförmig angeordneten) acht Leit-
prozessen auf. Damit aber nicht genug.
Gleichzeitig ist der „innere Kreis“ der
Leitprozesse noch von einem äußeren
Kreis aus 16 Begriffen umgeben. Auch
die „äußeren“ Begriffe haben einen
Bezug zum Begriff in der Mitte, aber sie
erlauben umso mehr ein Lernen durch
„driften“. Mit jedem Doppelklick kommt
man der Einsicht näher, dass die Zusam-
menhänge im Tool endlos sind, dass hier
Wissen ohne Anfang und Ende, ohne
hierarchische Ordnung, angeboten wird
und daher nur persönlich erforscht wer-
den kann. Viele Nutzer sagen, sie hätten
am meisten dadurch gelernt, dass sie sich
von Zeit zu Zeit gefragt hätten, wie sie
denn nun von einem Begriff zum anderen
gekommen seien und welche Logik hinter
ihren Assoziationsketten stecke.
Eidenschink ist sich im Klaren darüber,
dass das Tool einen Verlust von Orientie-
rung und Kontrolle erlaubt beziehungs-
weise erzwingt – je nachdem wie man es
sehen will. Niemand hat einen Überblick