Wirtschaft und Weiterbildung 09/2016 - page 20

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wirtschaft + weiterbildung
09_2016
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geschickte Weise genutzt. Wer sich das
Prädikat „Pro Coach“ kauft und rund 500
Euro im Jahr hinblättert, bei dem wird in
der Xing-Datenbank das goldene Focus-
Siegel direkt neben seinem Namen ge-
stellt. Wer nur das kostenlose Profil nutzt,
bei dem ist das Top-Coach-Siegel erst zu
sehen, wenn man das Profil öffnet. Als
„Pro Coach“ bezahle man für die höhere
Sichtbarkeit auf Xing Coachs, sagt Kopka.
Dazu gehöre eben auch die Sichtbarkeit
des Siegels. Dabei bestreitet Xing, direkt
finanziell von der Top-Coach-Liste zu pro-
fitieren.
Christopher Rauen, ungewollt in der
Xing-Datenbank und als Top-Coach aus-
gezeichnet, findet das Vorgehen befremd-
lich. „Das entspricht nicht meiner Vor-
stellung von Qualität“, so der Vorstand
im Deutschen Bundesverband Coaching
(DBVC). Weder habe er darum gebeten,
in diese Listen aufgenommen zu werden,
noch als „Top Coach 2016“ ausgezeich-
net zu werden. Dennoch seien ihm die
entsprechenden „Urkunden“ von Focus
zugeschickt worden.
Focus-Top-Coach Eva Strasser findet
die Focus-Liste dagegen nicht viel bes-
ser, aber auch nicht schlechter als das,
was alle Coaching-Verbände machten.
Schließlich zeige die Liste, dass man bei
der Empfehlung der anderen in deren
Kopf sei. Reputation und Vernetzung,
wie sie Focus erhoben habe, sei genauso
signifikant wie ein Zertifikat von einem
Coaching-Verband, behauptet die Psycho-
login. Auch bei der Zertifizierung durch
Verbände seien dem Missbrauch Tür und
Tor geöffnet und die Coaching-Verbände
hätten schließlich auch ein ökonomisches
Interesse. Dort stieß das Xing-Projekt auf
Kritik. Besonders deutliche Worte fand
dabei der DBVC: „Aufgrund der Quali-
tätsmängel und der geringen Perspektive
wird der Xing-Coach-Pool grundsätzlich
nicht als professionelles Angebot wahr-
genommen. Auch das Ziel der Professi-
onalisierung der Branche wird aufgrund
der nichtvorhandenen Qualitätssicherung
durch das Angebot eher konterkariert.“
Der DBVC-Vorstand spreche daher keine
Empfehlung für die Nutzung aus und rate
von kostenpflichtigen Profilen ab.
Die Verbände sind besorgt, schließlich
widerspricht der Vorstoß von Xing jegli-
chen Qualitätsbemühungen. „Ein Coach
ist derjenige, der sich Coach nennt“, er-
klärt Xing-PR-Manager Kopka. „Wir wol-
len und können nicht beurteilen, wer sich
so nennen darf.“ Reichlich bizarr mutet
daher seine Behauptung an, mit der Platt-
form Xing Coachs Transparenz in den
Markt bringen zu wollen: „Bevor es Xing
Coachs gab, hat man jemanden gefragt
oder hat gegoogelt. Das war absolut in-
transparent“, so Kopka. Heute finde man
bei Xing eine breite Auswahl und profi-
tiere davon, dass man sehen könne, über
wie viele Ecken man vielleicht mit einem
Coach vernetzt sei.
Auch die Top-Coachs-Liste stößt bei den
Coaching-Verbänden durchwegs auf Kri-
tik. „Aus unserer Sicht handelt es sich
beim ‚Top-Coach-Siegel‘ von Xing und
Focus eher um ein Geschäftsmodell als
um eine Qualitätsinitiative wie der Begriff
Gütesiegel nahelegen könnte“, sagt Paul
Fortmeier, Geschäftsführer der Deutsche
Gesellschaft für Supervision in Köln. Es
stelle daher allenfalls Transparenz da-
rüber her, wer als „Coach” bereit und
in der Lage ist, in das Geschäftsmodell
von Xing und Focus jährlich 5.000 Euro
zu investieren – mehr nicht. „Aufgrund
mangelnder und intransparenter Quali-
tätskriterien empfehlen wir Coaching-
Kunden stattdessen, die Suchmaschinen
der Coaching-Verbände zu nutzen“, rät
der DVCT. Das „Focus-Siegel“ sorge nicht
für mehr Transparenz auf dem Markt.
„Im Gegenteil: Die Auswahl ist verwir-
rend, die Kriterien sind intransparent und
Berufsbezeichnungen werden durchein-
andergebracht“, so die DVCT-Vorstands-
vorsitzende Lübben.
„Diese Auszeichnung braucht es nicht“,
meint letztlich Stephan Gingter, Präsi-
dent BDVT e.V. Für ihn schaffe der Vor-
stoß von Focus aufgrund der fehlenden
Transparenz in der Bewertung nicht mehr
Durchblick, sondern mehr Verwirrung.
Bärbel Schwertfeger
ICF Global Coaching Studie 2016.
Weltweit arbeiten rund
53.300 Business-Coachs. Das hat die International Coach
Federation (ICF) in ihrer „Globalen Coaching Studie 2016“
herausgefunden. Die Studie wurde von der Wirtschaftsprü-
fungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers ab Mitte 2016
durchgeführt. Die meisten Coachs arbeiten in Westeuropa
(18.800 Personen) und in Nordamerika (17.500). Es folgen
Osteuropa (4.500), Lateinamerika (4.000), Asien (3.700)
sowie Afrika (2.400) und Oceanien (2.400).
Der durchschnittliche Jahresumsatz liegt bei 51.000 US-
Dollar. Der geschätzte globale Jahresumsatz 2015 aus
dem Coaching erreicht damit einen Wert von 2,35 Milliar-
den US-Dollar (plus 19 Prozent gegenüber der letzten Ana-
lyse aus 2011). „Aus Deutschland nahmen 261 Coachs an
der Studie teil“, berichtet
Jürgen Bache, der 1. Vorsit-
zende des ICF-Deutschland
e.V. Die Befragten sagten,
von Einkäufern werde inzwi-
schen oft eine „lange, kon-
tinuierliche und fundierte
Ausbildung“ gefordert.
Neues zum Coaching-Markt
Jürgen Bache.
Deutschand-Chef des ICF
Foto: Pichler
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