wirtschaft + weiterbildung
09_2016
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englische Sportpresse vermutete, dass die „Chemie“ zwischen
dem Neuling und seinen Swansea-Mitspielern nicht gestimmt
habe. Éder selbst hatte die Größe, gegenüber der englischen
Zeitung „The Sun“ einzugestehen, dass er zu lange gebraucht
habe, sich in der neuen Situation menschlich zurechtzufin-
den und dass er fußballerisch von der Professionalität der eng-
lischen Spitzenliga etwas überfordert gewesen sei.
Arbeit an Glaubenssätzen
„Susana, niemand mag mich“, soll er nach dem Wechsel zu
Swansea geklagt haben. Torres hatte alle Hände voll zu tun,
damit die Kritik an Éders Leistung nicht dessen Selbstwert
zerstörte. „Wir haben einige Filter erarbeitet, die es Éder er-
laubten, sich vor den Äußerungen anderer zu schützen“, so
Torres. Sie verlangte von ihm, sich auf die Verbesserung der
fußballerischen Leistungen zu fokussieren. Das ging sogar so
weit, dass der Schützling sich von Facebook und anderen so-
zialen Medien fernhalten musste und sogar Freundschaften
eingeschränkt wurden. „In bestimmten Momenten müssen wir
wie in einer Blase leben, um neue Energie zu schöpfen. Erst
dann können wir wieder aus der Blase heraustreten“, erklärte
Torres.
Zwischen den Zeilen ist aus den Berichten über Éder herauszu-
lesen, dass er von Selbstzweifeln geplagt wurde, die sein Coach
mit der Arbeit an Glaubenssätzen zu vertreiben suchte. Wie
kann ein Profifußballer nur der Meinung sein, er habe es nicht
verdient, Erfolg zu haben? Um die „Kratzer“ an Éders Selbstbe-
wusstsein zu verstehen, muss man sich mit seiner Kindheit be-
schäftigen. Er wurde am 22. Dezember 1987 in Guinea-Bissau,
einem westafrikanischen Mini-Staat, geboren. Guinea-Bissau
war bis 1974 portugiesische Kolonie. Als er zwei Jahre alt war,
zog seine Mutter mit ihm nach Lissabon, wo sein Vater bereits
lebte. Da sich die Eltern nicht ausreichend um ihn kümmerten,
wurde er von den Behörden im Alter von acht Jahren in ein
Waisenhaus gesteckt. „Ich war traurig und fühlte mich ver-
lassen“, sagte Éder, für den ab diesem Zeitpunkt nur noch der
Fußball zählte. Als er zwölf Jahre alt war, lernte sein Vater eine
neue Frau kennen und zog mit ihr nach Großbritannien. Im
Streit tötete der Vater die neue Lebensgefährtin und wurde zu
16 Jahren Gefängnis verurteilt.
Minderwertigkeitsgefühle kompensieren
Im Grunde geht es Éder wie vielen prominenten Sportlern.
Sie sind unsicher und voller Selbstzweifel. Angetrieben vom
Wunsch nach Anerkennung und Zuneigung nehmen sie jedes
noch so harte und entbehrungsreiche Training auf sich, um
Erfolge feiern zu können. Unsicherheit kann ein großer Motor
für Spitzenleistungen sein, wusste schon Siegmund Freud – auf
Dauer allerdings nur, wenn man lernt, mit ihr umzugehen.
Martin Pichler
Nach dem Spiel.
Éder
schießt ein Foto von sich
und Susana Torres. Im
Anschluss an das End-
spiel am 10. Juli 2016
durfte auch der Coach
einmal den Europapokal
halten.