wirtschaft und weiterbildung 5/2016 - page 41

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wirtschaft + weiterbildung
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verstehen, was ein Coachee nicht sagt,
wenn er etwas sagt.“ Kreuser: „Weil wir
beim virtuellen Coaching eine räumli-
che Distanz haben und die Antworten
auf Fragen mit einer zeitlichen Verzöge-
rung kommen, ist weniger Spontanität
als beim Face-to-Face-Coaching möglich.
Die Kommunikation wird einfach schmal-
bandiger.“ Deshalb könne der Coach das
Gesagte kaum noch auf Kongruenz prü-
fen. Er wisse in der Regel nicht, ob mit
der Sprache auch genau das ausgedrückt
werde, was der Körper sage.
Empathie entsteht laut Kreuser in einem
klassischen Coaching, wenn der Coach
mittels „erkundender Kommunikation“
herauszufinden versucht, welche Gefühle
und Bedürfnisse den anderen gerade be-
wegen. „Diese Kommunikation wird im
virtuellen Raum wesentlich schlechter
funktionieren“, betonte der Coaching-
Experte. Gleichwohl werde es seiner
Meinung nach schon bald mehr virtuel-
les Coaching geben. Kreusers Fazit: Jeder
Coach sollte jetzt seine Kompetenzen
erweitern. In die multimedialen Online-
Coachings müsse man als Coach „ganz
mutig“ einsteigen, um kreativ und selbst­
organisiert handelnd seine Kompetenzen
zu erweitern. „Kein Coach sollte sich
Bangemachen lassen.“
Karlsruher Curriculum
„Multimediales Coaching“
Wie sich durch virtuelle Coaching-Tools
und Online-Plattformen das Coaching
erweitern lässt, schilderte Dr. Elke Ber-
ninger-Schäfer vom Karlsruher Institut
für Coaching, Personal- und Organisati-
onsentwicklung (KIC). „Digitales Coa-
ching bedeutet Reduktion der Wahr-
nehmungskanäle“, gestand die Expertin
ein, aber die virtuelle Welt stelle andere
Möglichkeiten zur Verfügung, um die
kognitive, emotionale, imaginative und
physiologische Ebene eines Klienten zu
bearbeiten. So kämen die Coachees im
schriftlichen Dialog mit einem Coach
via Mail oder Coaching-Plattform viel
schneller auf den Kern ihres Anliegens zu
sprechen. Offenbar sei eine gewisse Dis-
tanz und Anonymität von Vorteil, wenn
man einem Fremden etwas von sich of-
fenbaren wolle. Die „Nicht-Sichtbarkeit“
setze möglicherweise ein schwächeres
Vertrauensverhältnis zum Coach voraus.
Wie man diese Beobachtung im Rahmen
eines professionellen Coaching-Prozesses
nutzen sollte, war den Experten auf dem
Kongress noch nicht ganz klar. Auf jeden
Fall seien die Coachs in der Pflicht, mit
allen Selbstoffenbarungen wertschätzend
und achtsam umzugehen.
Die Möglichkeiten des virtuellen und
multimedialen Coachings – zum Bei-
spiel in einer dreidimensionalen Welt,
die von Avataren bevölkert wird – bieten
aber noch mehr Überraschungen. Um
sich nicht zu „verlaufen“ hat Berninger-
Schäfer die CAI-Coachingworld
onstruiert und bietet
eine zertifizierte Zusatzqualifikation für
Coachs zum „Virtuellen Coach“ an. Die
Expertin gab sich in Erding überzeugt:
„Eine neue Form der Professionalisie-
rung ist unerlässlich, wenn Coaching
auch im virtuellen Raum eine seriöse,
respektvolle, ethisch fundierte, ziel- und
lösungsorientierte Begleitung sein soll.“
Mit dem Coaching-System „CAI-World“
wird ein systemischer, lösungsorientierter
Coaching-Prozess abgebildet, der mit ver-
schiedenen Tools gestaltet werden kann.
Die Ziele der Karlsruher Weiterbildung
lauten unter anderem:
• ein multimediales Coaching-System
kennenlernen und die Durchführung
von Coachings in virtuellen 2D- und
3D-Welten üben
• verschiedene Möglichkeiten synchro-
ner und asynchroner Kommunikations-
formen im virtuellen Raum kennenler-
nen und damit einen ganzheitlichen
Coaching-Prozess gestalten
• spezifische Kompetenzen zur Durch-
führung rein schriftlicher und rein
akustischer Phasen des Coaching-Pro-
zesses erwerben sowie den Einsatz von
virtuellen Coaching-Tools üben.
Das Fehlen optischer und akustischer
Sinneswahrnehmungen in den schriftli-
chen Kommunikationsphasen erhöht die
Bedeutung eines gezielten, wertschätzen-
den und empathischen Eingehens auf die
schriftliche Botschaften der Klienten. So
ist beim sprachlichen Formulieren durch
den Coach eine besondere Sorgfalt not-
wendig, um den Coaching-Prozess für
den Klienten maßgeschneidert zu steu-
ern. Die Coachs arbeiten zum Beispiel
mit Metaphern und Gleichnissen in der
inneren Bilderwelt des Klienten, die sie
mit elektronischen Tools unterstützen.
Fünf „starke Gründe“ für ein
virtuelles Coaching
Da der Erdinger Coaching-Kongress sich
nicht auf eine Coaching-Methode oder
eine psychologische Fachrichtung fest-
legt, hat er es leicht, mit fast allen Coa-
ching-Verbänden gleichzeitig zu koope-
rieren. In diesem Jahr war Jürgen Bache,
erster Vorsitzender vom deutschen Ab-
leger der International Coach Federation
(ICF-Deutschland), als Gast eingeladen
worden, um zum Thema „Chancen und
Risiken digitaler Medien im Coaching“
zu sprechen. Er wies darauf hin, dass die
Foto: maradon 333 / Shutterstock.com
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