wirtschaft und weiterbildung 5/2016 - page 39

Systeme wie Unternehmen sensibilisiert
sind. Und schon gar nicht beherrschen
sie das Instrumentarium, um auf Turbu-
lenzen angemessen zu reagieren. Eine
Ursache hierfür ist: Oft wird angehenden
Projektmanagern in ihren Ausbildungen
– gerade wegen deren Fixierung auf Me-
thoden und Standards – das Gefühl ver-
mittelt, Changeprozesse ließen sich wie
der Bau einer Maschine planen und steu-
ern. Das ist nicht möglich, denn soziale
Systeme sind lebende Gebilde. Außerdem
nimmt jeder Projektentwurf die gedachte
Zukunft vorweg. Entsprechend viele An-
nahmen fließen in ihn ein, die sich als
falsch erweisen können.
Eine weitere Ursache für das Scheitern
von Projekten ist: Oft werden die Projekt-
pläne so erstellt, als fände deren Umset-
zung in hermetisch geschlossenen Labors
ohne externe Einflüsse statt. Im betriebli-
chen Alltag ist dies nie der Fall. Hier än-
dern sich die Rahmenbedingungen konti-
nuierlich. Zwei Mitbewerber fusionieren.
Neue technische Lösungen kommen auf
den Markt. Der alte Vorstand wird durch
einen neuen ersetzt. Die Erträge entwi-
ckeln sich nicht wie geplant. Dies sind
nur einige der möglichen Faktoren, die
neben dem Projektplan auch die Pro-
jektziele infrage stellen können. Deshalb
dürfen größere Projekte, die teils Jahre
dauern, nicht mechanistisch geplant wer-
den. Es genügt nicht, vor Projektbeginn
einen Projektplan zu erstellen, der blind
abgearbeitet wird. Vielmehr muss regel-
mäßig geprüft werden: Ist das geplante
Vorgehen noch geeignet, die definierten
Ziele zu erreichen oder sollten wir es mo-
difizieren? In das Projektdesign sollten
also Reflexionsschleifen integriert sein,
bei denen analysiert wird: Was hat sich
in der Organisation und deren Umfeld
geändert? Was bedeutet das für das Pro-
jekt? Welche Konsequenzen hat dies für
das Vorgehen? Analysiert werden sollte
auch: Fördern oder behindern die gelten-
den Projektmanagement-Standards und
genutzten Instrumente das Erreichen der
Ziele?
Standards sind auch nur
Werkzeuge
Solche Fragen stellen sich die Projekt-
verantwortlichen selten. Sie halten sich
zuweilen sklavisch an die definierten
Standards, weil sie wissen: Ein Abwei-
chen von ihnen wird sanktioniert. Dabei
ist jeder Standard ebenso wie jedes Pro-
jektmanagement-Tool nur ein Werkzeug.
Also sollte ein begründetes Abweichen
von den Standards in der Organisation
nicht nur erlaubt, sondern sogar er-
wünscht sein. Das setzt eine Unterneh-
menskultur voraus, die dem Erreichen
der Ziele eine höhere Priorität beimisst
als dem Einhalten starrer Regeln. Bei
langfristigen Projekten werden oft, weil
sich die Rahmenbedingungen ändern, im
Verlauf des Projekts die definierten Ziele
zum Teil obsolet. Also sollten sie und
damit auch das Vorgehen dem veränder-
ten Umfeld angepasst werden. Das setzt
voraus, dass im Projektteam und in der
Organisation offen darüber kommuniziert
wird, inwieweit die Ziele noch relevant
sind.
Eine solche Kommunikation findet in vie-
len Unternehmen nicht statt – vor allem,
weil ein Aufgeben oder Anpassen nicht
nur der Ziele, sondern auch des gesteck-
ten Zeit- und Kostenrahmens oft als Ver-
sagen interpretiert wird. Also halten alle
daran fest, bis der Letzte erkannt hat:
Wir erreichen mit an Sicherheit grenzen-
der Wahrscheinlichkeit die Ziele nicht.
Doch selbst dann werden in der Regel die
Ziele und das Vorgehen nicht hinterfragt.
Vielmehr wird das Projekt stärker an die
Kandare genommen. Statt alle zwei Wo-
chen sollen die Projektverantwortlichen
nun alle drei Tage einen Report schreiben.
Statt zu fragen: „Ist unser Vorgehen noch
richtig?“, wird noch stärker auf das Ein-
halten der Pläne gepocht. Und alle spie-
len aus Angst dieses Spiel mit. Zielfüh-
render wäre es, wenn sich alle Beteiligten
an einen Tisch setzen und gemeinsam
überlegen würden: Wie stellen wir die
Weichen neu?
Georg Kraus
R
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