wirtschaft und weiterbildung 4/2016 - page 17

wirtschaft + weiterbildung
04_2016
17
Hilft also ein monatlicher Fehler-Newsletter?
Hagen:
Das ist zumindest eine gute Möglichkeit, den Umgang
mit Fehlern langsam zu verändern. So ein Newsletter, in dem
anonym einzelne Fehler beschrieben werden, hat sogar gleich
eine doppelte Funktion. Jeder sieht, dass etwas mit der Mel-
dung passiert und realisiert gleichzeitig, dass Fehler etwas ganz
Alltägliches sind, was ihm eben auch mal passieren kann. Aber
auch bei Managementmeetings wäre es wichtig, wenn nicht
nur über Erfolge, sondern auch offen über Misserfolge berich-
tet wird, am besten vom Vorstandsvorsitzenden selbst.
Bei VW scheint man noch nicht so weit zu sein. Noch im
Januar versuchte der neue Vortandsvorsitzende Matthias
Müller, den Skandal in einem Interview mit einem
amerikanischen Radiosender zu verharmlosen. Man habe
nicht gelogen, sagte der VW-Chef. Volkswagen habe lediglich
die US-Gesetze „falsch interpretiert“.
Hagen:
Wenn man das Verhalten von VW verfolgt, hat man in
der Tat bisher den Eindruck, dass es dort eigentlich kein großes
Interesse an einer lückenlosen Aufklärung gibt.
Interview: Bärbel Schwertfeger
Was Manager von Piloten lernen können
Jan U. Hagen zeigt in seinem Buch „Fatale Fehler“ mit
Beispielen aus der zivilen und militärischen Luftfahrt, wie
es dazu kam, dass dort nach und nach ein einschlägiges
Fehlermanagement entwickelt wurde. Er beschreibt die
Widerstände, die auf dem Weg dahin überwunden werden
mussten und schildert, wie sich langsam eine sachliche
Kultur der schnellen Fehlerdiagnose und der Fehlerbear-
beitung entwickelte. In einem eigenen Kapitel erläutert er,
wie Wirtschaftsunternehmen sich nach dem Vorbild der
Luftfahrt ein eigenes Fehlermanagement aufbauen kön-
nen. Hagen ist Mitglied der Fakultät der ESMT European
School of Management and Technology in Berlin. Im Mit-
telpunkt seiner Forschung stehen die Themen Fehler- und
Krisenmanagement.
Fehlermanagement einführen braucht Zeit
Der Autor schildert dramatische Flugzeugunglücke und
analysiert: Wodurch kam es zu Unfällen und Abstürzen?
Wie war die Dynamik im Vorfeld des Absturzes? Welche
Möglichkeiten hätte es noch gegeben, die fatale Entwick-
lung hin zum Unfall zu stoppen? Anschließend beschäftigt
sich Hagen mit dem zentralen Thema: Was kann getan
werden, damit die Wahrnehmungen der unterschiedlichen
Besatzungsmitglieder nicht aufgrund der Hierarchieunter-
schiede ungehört bleiben?
Die Angst der Crewmitglieder davor, dem ranghöheren
Flugkapitän zu widersprechen oder ihn auf Informationen
aufmerksam zu machen, die er ignoriert, war lange Zeit
eine Ursache von Abstürzen. Die „Lösung“ lautet also: Hie-
rarchien im Cockpit abbauen, die Hemmschwellen bei der
Kommunikation beseitigen, eigene Fehler und Fehler ande-
rer offen ansprechen lernen. Wenn man offen mit Fehlern
umgeht und gemeinsam nach einer Lösung sucht, kann
das nur zu einer Verbesserung und zur Unfallvermeidung
Hintergrund.
Herkömmlich werden Fehler als individuelle Schwäche stigmatisiert. Im modernen
Fehlermanagement werden sie als unvermeidbarer Teil menschlichen Handelns akzeptiert.
Gleichzeitig gilt es, durch ein Fehlermanagement die Fehlerquote zu reduzieren.
Vorbild Cockpit.
Manager wür-
den staunen,
wie offen Pilot
und Co-Pilot
über ihre Fehler
reden.
führen. Letztlich werden von Hagen Trainingsmaßnahmen
beschrieben, um die Kommunikation und die Entschei-
dungsfindung im Cockpit deutlich zu verbessern. Anschlie-
ßend gibt es Beispiele für kritische Situationen, die mithilfe
gut trainierter Crews gemeistert wurden. Entscheidend war
demnach das konsequente und systematische Lernen aus
Fehlern.
Hagen ist souverän genug, ausdrücklich anzumerken, dass
es rund zehn Jahre dauerte, bis das Fehlermanagement
in der Luftfahrt optimal lief, dass manchmal einige alte
Piloten erst in Rente gehen mussten, dass es ansonsten
auch vieler Trainings und Coachings bedurfte, bis es mit
der Krisenkommunikation wie vorgesehen klappte. Hinzu
kommt: In den wenigsten Unternehmen dürften die Abläufe
so standardisiert und reguliert sein wie in der Luftfahrt –
was bedeutet, dass die Fehlerauswertung im Business
noch schwieriger sein dürfte als bei einer Airline.
1...,7,8,9,10,11,12,13,14,15,16 18,19,20,21,22,23,24,25,26,27,...68
Powered by FlippingBook