wirtschaft und weiterbildung 4/2016 - page 14

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wirtschaft + weiterbildung
04_2016
Foto: ESMT
INTERVIEW.
Abgas-Schummeleien bei VW, Libor-
Manipulationen bei der Deutschen Bank und desaströse
Stahlwerkprojekte von Thyssen-Krupp in Brasilien – beim
Fehlermanagement versagen deutsche Unternehmen
regelmäßig. Für Professor Jan Hagen liegt das Problem vor
allem an der Führungskultur.
Kleine Gruppe oder großer Kreis? Bei VW rätselt man auch
nach mehr als einem halben Jahr daran, wer alles von den
Abgasschummeleien wusste und wer schuld an dem Desaster
ist.
Professor Jan U. Hagen:
Eigentlich ist das auch der falsche An-
satz. Denn letztlich sollte es doch nicht darum gehen, den oder
die Schuldigen zu finden, sondern zu analysieren, wo etwas
schiefgelaufen ist, um ähnliche Vorfälle künftig vermeiden zu
können. Die Frage ist doch: Was wurde von oben veranlasst
und was entstand durch einen schiefgelaufenen Feedbackpro-
zess?
Was meinen Sie damit?
Hagen:
Wenn eine Unternehmenskultur keine offenen Diskus-
sionen zulässt, dringen auch keine Informationen von unten
nach oben. Dann ist es schwer nachzuvollziehen, was genau
wo passiert ist. Vielleicht wurde den Ingenieuren gesagt: Wir
haben ein Problem, bitte löst das. Die haben nach einer Lösung
gesucht und das Management hat nicht mehr nachgefragt. Vor
allem hat niemand die entscheidende Frage gestellt: Wie weit
gehen wir? Akzeptieren wir auch illegale Praktiken?
Angeblich wurde auch Vorstandschef Martin Winterkorn
bereits früh informiert ...
Hagen:
Wenn das stimmt, hat er die Information vielleicht
nicht richtig wahrgenommen oder bewertet. Zumindest hat er
Fehlerverhindern:
Eine Frage der
Führungskultur
nichts gegen die Manipulationen unternommen. Und es gab
offenbar auch kein geregeltes Berichtssystem.
Dass heißt, alle haben sich auf den CEO verlassen?
Hagen:
Wer so wie Winterkorn auf den Sockel gehoben wird,
löst ambivalente Gefühle aus. Da gibt es Angst und Druck, aber
auch eine gewisse Faszination. Er wird als hohe moralische
Autorität angesehen, die genau weiß, was sie macht. Umso
wichtiger wäre es, herauszufinden, warum Warnungen nicht
berücksichtigt wurden.
In vielen Fällen haben Topmanager behauptet, sie hätten gar
nichts von den Problemen gewusst.
Hagen:
Ja, das ist ein bekanntes Muster. Wenn man sich die
Korruptionsfälle bei Siemens, die desaströsen Stahlwerkpro-
jekte von Thyssen-Krupp in Brasilien, die Libor-Manipulati-
onen bei der Deutschen Bank oder den unfassbaren Dilettan-
tismus beim Berliner Flughafen anschaut, zeigten sich die Top-
manager im Nachhinein immer schockiert und behaupteten,
von den gravierenden Fehlentwicklungen völlig überrascht
worden zu sein. Dabei lagen die Informationen vor! Sie sind
nur nicht bis zur Unternehmensspitze gekommen.
Etliche Topmanager mussten dann ja auch gehen.
Hagen:
Der Austausch der obersten Managementebene ist eine
richtige Geste, reicht aber bei Weitem nicht aus. Wichtig ist es,
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