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wirtschaft + weiterbildung
04_2016
schen starben. Das führte letztlich dazu, dass das Crew Re-
source Management heute bei allen Airlines Pflicht ist und die
Crews heute weltweit auch umfassend in ihren Kommunikati-
onsfähigkeiten geschult werden. Wenn ein Mitarbeiter einen
Fehler bemerkt, spielt die Hierarchie dabei heute keine Rolle
mehr.
Und da haben Piloten mitgemacht?
Hagen:
Natürlich gab es bei den Kapitänen den größten Wider-
stand. Und obwohl in der Luftfahrt der Sicherheitsaspekt eine
entscheidende Rolle spielt, hat es trotz intensiver Trainings
über zehn Jahre gedauert, bis das Konzept richtig gegriffen
hat. Der Schlüssel war letztlich, dass es eine neue Generation
der Flugkapitäne gab, die von Anfang an mit der offenen Kom-
munikation vertraut waren. Es ist daher völlig illusorisch, dass
alle Manager, die in der bisherigen Hierarchie sozialisiert wur-
den, ihre bisherige Einstellung zu Fehlern plötzlich ablegen.
Da braucht es wohl meist eine neue Generation von Führungs-
kräften.
Das klingt nicht sehr optimistisch. Und lassen sich die
Prinzipien überhaupt auf jedes Unternehmen übertragen?
Hagen:
Der offene Umgang mit Fehlern ist für jede Organisa-
tion relevant. Gerade am Fall VW sieht man ja, zu welchen
gravierenden Folgen es führen kann, wenn Fehler nicht profes-
sionell gemanagt werden. Aber da tun sich bekanntlich gerade
die Deutschen oftmals schwer. Wir haben einfach einen Drang
zur Perfektion und für viele ist es daher schwer zu akzeptieren,
dass eben immer Fehler passieren können.
Schließlich haben viele Unternehmen dafür auch ein
ausgefeiltes Qualitätsmanagement.
Hagen:
Das ist ein elementarer Unterschied. Hinter dem Quali-
tätsmanagement steckt die Fiktion, wenn ich nur genug Regeln
aufstelle, kann ich alle Fehler vermeiden. Dabei werden Fehler
als negativ bewertet und oft auch sanktioniert. Im modernen
Fehlermanagement werden Fehler dagegen sachlich identifi-
ziert, analysiert und ihre Ursachen ausgeräumt und das Ganze
erfolgt zudem transparent. Wir brauchen also einen Paradig-
menwechsel weg von der Fehlervermeidung hin zur Akzeptanz
von Fehlern.
Lässt sich eine offene Fehlerkultur verordnen?
Hagen:
Nein, die muss vor allem von oben gelebt werden. Man
braucht einen Topmanager an der Spitze, der klarmacht, dass
er wissen will, was passiert ist und wo das Problem liegt. Ma-
nager müssen daher ihren Führungsstil überdenken und stär-
ker über offene Fragen führen. Sie müssen ihre Mitarbeiter als
kompetente Partner akzeptieren und Fragen stellen wie: Was
ist schiefgelaufen? Wie ist es dazu gekommen? Welche Vor-
schläge haben Sie, damit es nicht noch einmal passiert? Nur so
bekommen sie auch die wichtigen Informationen von den Mit-
arbeitern. Aber dagegen sträuben sich viele, weil sie glauben,
mit ihren Fragen zeigen sie Inkompetenz und außerdem koste
das zu viel Zeit. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Man wird effi-
zienter, weil man Fehler eher erkennt.
Sollten Mitarbeiter also jeden Fehler sofort melden?
Hagen:
Auf jeden Fall, und dazu braucht es eine klare Ansage
von oben: Ein Problem hat nicht derjenige, der einen Fehler
macht, sondern derjenige, der nichts sagt. Aber gleichzeitig
müssen Führungskräfte ihren Mitarbeitern auch die psycho-
logische Sicherheit geben, dass es keine Strafen und Sankti-
onen gibt. Und sie dürfen ihre Mitarbeiter auch nicht als Trottel
hinstellen, wenn die einen vermeintlichen Fehler melden, der
letztlich dann doch keiner ist.
Viele Mitarbeiter melden Fehler nicht, weil ihnen das
unangenehm ist.
Hagen:
Auch hier gilt es, zum Beispiel durch Trainings erstmal
ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie wichtig das für eine
Organisation ist. Ja, es ist unangenehm, aber auch notwendig.
Natürlich kann ein Einzelner nicht die Führungskultur ändern.
Aber er sollte immer auch ein Stück weiterdenken. Irgendwann
fliegt das Ganze auf und wenn das Unternehmen strauchelt,
trifft es möglicherweise auch ihn.
Aber für viele ist doch die Gefahr viel zu groß, letztlich als
Sündenbock dazustehen. Bei einer aktuellen Umfrage der
Beratung von Rundstedt bei rund 650 Berufstätigen in
Deutschland sagte ein Viertel, dass bei Fehlern nicht nach der
eigentlichen Ursache gesucht werde, sondern nach einem
„Sündenbock“. Kein Wunder, dass viele Berufstätige da lieber
schweigen ...
Hagen:
Solange Fehler stigmatisiert und bestraft werden, sollte
man die persönliche Ebene möglichst ausklammern. Gerade
bei großen Unternehmen ist daher eine anonyme Fehlermel-
dung sinnvoller. Aber die muss dann auch wirklich anonym
sein. Sonst funktioniert es nicht. So gibt es zum Beispiel seit
fünf Jahren für Krankenhäuser ein verpflichtendes Critical Inci-
dent Reporting System (CIRS), bei dem Fehler anonym gemel-
det werden müssen. Allerdings ermöglicht es das System, die
Ärzte doch zu de-anonymisieren und einige bekamen daher
wohl Probleme mit ihrem Management. Daher wird das Sys-
tem auch nicht sehr intensiv genützt. Dazu kommt ein feh-
lender Feedbackprozess. Viele Ärzte sehen keinen Nutzen in
ihrer Fehlermeldung.
Wie wichtig ist das Feedback?
Hagen:
Das ist elementar wichtig. Ich muss wissen, was mit
meiner Information passiert. Unternehmen sollten daher ein
Berichtssystem aufbauen, zu dem jeder Zugang hat. Und es
braucht einen unabhängigen Verantwortlichen aus dem oberen
Management. In der Luftfahrt gibt es zum Beispiel eine mo-
natliche Auswertung der interessantesten Fälle. Das ist oftmals
spannend zu lesen und wenn es Fälle sind, die öfter vorkom-
men, werden diese auch im Training genutzt. Manchmal reicht
dabei auch schon das Bewusstwerden von bestimmten Verhal-
tensweisen. So hat man zum Beispiel mal festgestellt, dass bei
Landungen tendenziell zu schnell angeflogen wurde, was bei
kürzeren Landebahnen schnell zum Sicherheitsrisiko werden
kann. Nachdem man das Problem offen geschildert hat, sind
die Fälle deutlich zurückgegangen.
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