personalmagazin 3/2019 - page 30

Schwerpunkt
personalmagazin 03.19
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Foto: Frank Schinski
An den Wänden klebten bald Hunderte von bunten Post-its,
die Drucker liefen heiß und bestehendes Informationsmaterial
aus dem Unternehmen fand visuellen Eingang in die Räume.
In dieser Phase waren die Experten und das Leadership-Team
ständig zugegen und halfen den einzelnen Gruppen bei der
Definition der Challenges. Die neue Form des Zusammenseins
mit dem Leadership-Team, welches mehr als Supporter denn als
Auftraggeber der Gruppen agierte, sorgte für eine ungezwunge-
ne Atmosphäre. Die Themenpaten gewannen mehr Gespür für
den Arbeitsalltag ihrer Mitarbeiter, im Gegenzug konnten die
Mitarbeiter mit dem Management auf Augenhöhe diskutieren.
So verringerte sich während der drei Sprintwochen sichtbar die
Distanz zwischen den Hierarchien. Insgesamt war diese erste
Phase für die Teilnehmer recht turbulent und anstrengend, da
ungewohnt. Am Ende waren sich dennoch alle einig, dass die
Qualität der Lösung auf der Strecke bleibt, wenn der Arbeits-
auftrag nicht vollumfänglich geklärt ist.
Auf zur kreativen Entdeckungsreise
Im Anschluss war Empathie gefragt: Empathie für die Zielgruppe
der Ideen und Maßnahmen sowie für den Kontext der Challenge.
Die Teilnehmer begaben sich auf eine Entdeckungsreise. Zu die-
sem Zeitpunkt begann die HR-Querdenkerfabrik ihre Wirkung
über die Halle hinaus zu entfalten. Sie wurde Teil des Flurfunks
im Unternehmen. Neugierige Kollegen besuchten die Teams,
um einen Blick auf das Geschehen zu werfen. Sie stießen zu
den Teilnehmern, die sich in den Rückzugsflächen zum Arbei-
ten zusammengesetzt hatten und es fand ein reger Austausch
statt. Besonders positiv war, dass sich sowohl in den einzelnen
Teams als auch zwischen ihnen Netzwerke bildeten. So konnten
Silos überwunden und Synergien zwischen den verschiedenen
Bereichen und Aufgaben entdeckt werden.
Nachdem sich die Teams etabliert hatten, wurden die zen­
tralen Problemstellungen der Challenges abgesteckt. Aus dem
anfänglichen Auftrag ergab sich eine individuellere und selbst-
gewählte Challenge. Dadurch gelang eine stärkere Identifikation
mit dem Auftrag, zu dem nun jeder ein Stück seines eigenen Er-
fahrungshorizontes beigetragen hatte. Den Teilnehmern wurde
spätestens zu diesem Zeitpunkt klar, wie wertvoll ein geschützter
Raum ist, in dem alle intensiv und ohne Beteiligung am Tages-
geschäft arbeiten können. Nach der Einigung auf die Challenge
ging es vorrangig wieder um Quantität. Ideen sollten möglichst
zahlreich und frei von äußeren Umständen generiert und skiz-
ziert werden. Die Räume füllten sich mit Customer Journeys,
Storyboards und Mindmaps. Bald mussten die Wände der Halle
mitverwendet werden, um die verschiedenen Ideen und Gedan-
ken zu visualisieren. So mancher Teilnehmer verlor langsam die
Geduld und wollte endlich einen Teil der gesammelten Ideen
ausarbeiten. Auch hier waren besonders die Coachs gefragt, die
motivierten und zum Durchhalten animierten.
Die für Volkswagen typische Ergebnisorientierung war schon
bei der Konzeption der Workshops deutlich geworden. Ein klei-
nes Team von Mitarbeitern wollte zusammen mit der Strategie-
beratung „diffferent“ die Workshops detailliert ausplanen und
Ablaufschemata der Tage skizzieren. Bei dieser Zusammenarbeit
zeigte sich schnell, welch großes Experiment die Querdenker-
fabrik für uns alle darstellen würde. Sich auf die im Design
Thinking benötigte Offenheit hinsichtlich der Prozesse und Er-
gebnisse einzulassen, fiel schon in diesem kleinen Kreis schwer.
Am Ende war jedoch allen Beteiligten klar, dass es genau diese
Offenheit braucht.
Große Vielfalt auf dem „Marktplatz der Ideen“
Als alle Wände gefüllt waren, wurden gemeinsam Ideen ausge-
wählt und in Prototypen überführt. Durch meine Besuche in der
Querdenkerfabrik und anhand der Schilderungen der Kollegen
wurde mir spätestens zu diesem Zeitpunkt klar, wie viel Elan,
Herzblut und Kreativität durch diese Veranstaltung bei den
GUNNAR KILIAN ist seit April 2018
Personalvorstand und Arbeitsdirektor der
Volkswagen AG. Er sieht das Unternehmen
vor einem weitreichenden Transformations­
prozess und hatte dies in einem exklusi­
ven Interview mit dem Personalmagazin in
Ausgabe 01/2019 bereits angedeutet.
Wie das Unternehmen
vor vielen Jahren mit
dem „Volkswagen-
Weg“ eine Antwort auf
Toyota und andere
Konkurrenten aus
Fernost fand, müssen
wir nun auf die agile
Transformation der
Internetkonzerne
mit einem eigenen
Verständnis von
Agilität antworten.
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