personalmagazin 06/2016 - page 18

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TITEL
_LEADERSHIP 4.0
personalmagazin 06/16
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
MARTIN PICHLER
ist Chefredakteur der
Zeitschrift „Wirtschaft + Weiterbildung“.
• Führungsstil „lenken“: Bei einer nied-
rigen fachlichen Reife der Mitarbeiter
wird dem Chef eine hohe Aufgaben­
orientierung bei gleichzeitig niedriger
Beziehungsorientierung
empfohlen.
Mit anderen Worten: Der Vorgesetzte
legt die Aufgaben fest und zeigt den Lö-
sungsweg auf. Er muss unterweisen und
kontrollieren.
• Führungsstil „trainieren“: Hat der
Mitarbeiter eine mäßige Reife, soll der
Vorgesetzte einen stark mitarbeiter-
bezogenen und aufgabenbezogenen
Führungsstil gleichzeitig anwenden. Es
kommt darauf an, die Mitarbeiter durch
Feedback und Korrektur wertschätzend
zu führen. Regelmäßige Fehler werden
analysiert und Frustrationen werden
bearbeitet.
• Führungsstil „unterstützen“: Bei ho-
her fachlicher Reife seiner Mitarbeiter
sollte der Vorgesetzte stark mitarbeiter-
bezogen und weniger aufgabenbezogen
führen. Mitarbeiter werden an der Ziel-
setzung oder an Entscheidungen betei-
ligt. Durch Coaching werden unpassen-
de Verhaltensweisen abgeändert.
• Führungsstil „delegieren“: Sehr „rei-
fe“ Mitarbeiter benötigen weder viel
persönliche Zuwendung noch Hilfe bei
der Erledigung der Aufgaben. Der Chef
delegiert möglichst große Aufgaben, de-
ren Risiken gemeinsam analysiert wer-
den. Außerdem zeigt der Vorgesetzte
eine hohe Wertschätzung.
Praktiker lieben den Ansatz des „situ-
ativen Führens“, weil er so schön plausi-
bel klingt. Insbesondere Ken Blanchard,
der später noch mit Managementbanali-
täten wie dem „1-Minuten-Manager“ für
Bestseller sorgte, dürfte mit seiner leicht
verständlichen Sprache dazu beigetragen
haben, dass das „situative Führen“ und
die darauf aufbauenden Trainings leicht
zu konsumieren waren. Wissenschaftler
konnten dagegen mit dem Ansatz wenig
anfangen, denn zentrale Begriffe wie
der „Reifegrad“ des Mitarbeiters oder
die „Aufgaben- und Beziehungsorien-
tierung“ waren so vage formuliert, dass
man sie nicht empirisch überprüfen
konnte. Das gilt mehr oder weniger auch
für eine überarbeitete Fassung, die Ken
Blanchard im Jahr 2013 unter dem Be-
griff „situatives Führen II“ auf den Markt
brachte und die im vergangenen Jahr im
Rowohlt Verlag auf Deutsch erschien.
Keine Transformation ohne Transaktion
Die Wissenschaft wandte sich schnell ei-
nem neuen Führungsstil zu: die „trans-
formationale Führung“, die Bernhard M.
Bass im Jahr 1985 im Buch „Leadership
and Performance Beyond Expectations“
zum ersten Mal beschrieb. Die erfolgrei-
che Führungskraft versucht demnach,
die individuellen Ziele und Wünsche ei-
nes Mitarbeiters in übergeordnete Ziele
der Organisation zu „transformieren“.
Der Chef vermittelt attraktive Visionen,
bietet Sinn, setzt auf intrinsische Mo-
tivation und unterstützt vor allem die
Entwicklung der Mitarbeiter durch die
Delegation herausfordernder Aufgaben.
Neben der „Transformation“ gibt es al-
lerdings immer auch die „Transaktion“:
Der Mitarbeiter tauscht Leistung gegen
Geld. Transaktionale und transforma-
tionale Führung sind nicht als Wider-
spruch zu sehen. Man könnte sagen,
erst wenn die Transaktion, also zum
Beispiel die Entlohnung, stimmt, kann
die transformierende Führung zum Zug
kommen. Da die Wissenschaft das beob-
achtbare Verhalten einer transformatio-
nalen Führungskraft durch Fragebögen
und 360-Grad-Feedback konkret be-
schreiben konnte (zum Beispiel: Mitar-
beiter individuell fördern, damit sie ihre
Stärken entwickeln können), ließ sich
auch schnell ein positiver Einfluss des
Transformationalen auf den Führungs-
erfolg finden.
Vom einsamen Helden zum Team
Während man immer noch beobachten
kann, wie sehr Amerikaner Unterneh-
menserfolge auf einen „charismatischen
Führer“ zurückführen, dämmert es eini-
gen Managementvordenkern, dass auch
in den USA die Komplexität der heuti-
gen Wirtschaft nicht mehr durch einen
einzelnen Helden zu beherrschen ist. So
greift die Einsicht, dass zum Führen im-
mer zwei gehören, langsam um sich. Je-
der, der führt, braucht auch Mitarbeiter
(Barbara Kellerman, Leadership-Profes-
sorin an der Harvard University, spricht
in ihrem Buch „The End of Leadership“
aus dem Jahr 2012 von „Followern“), die
sich führen lassen wollen. Mehr denn
je müssen Unternehmen darauf ach-
ten, dass ein Führungsstil praktiziert
wird, der auf Dialog setzt, um eine gute
„Führungsbeziehung“ zu gewährleisten.
Noch bemerkswerter ist, dass US-For-
scher wie der Psychologe David Kantor
(„Reading the Room“, 2012) davon ab-
rücken, dass an der Spitze eines Unter-
nehmens nur ein einziger Mensch steht.
Der Vorstandsvorsitzende sollte durch
ein Team gleichberechtigter, aber mög-
lichst unterschiedlicher Topmanager
ersetzt werden. Die Organisation würde
so widerstandsfähiger und adaptiver
gegenüber Marktturbulenzen werden.
Außerdem wäre dadurch sichergestellt,
dass an der Spitze eine breite Palette
von Führungsstilen und Führungsfä-
higkeiten vorhanden ist und man auf
die unterschiedlichsten Krisen auch mit
unterschiedlichsten Führungsinterven-
tionen antworten könnte.
Erst langsam greift die
Einsicht um sich: Jeder,
der führt, braucht auch
Mitarbeiter – oder „Fol-
lower“, wie Leadership-
Professorin Barbara
Kellerman sie nennt.
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