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PERSONALquarterly 04/16
NEUE FORSCHUNG
_REKRUTIERUNG
D
as Personalmanagement wissens- und innova-
tionsbasierter Unternehmen steht heute vor
besonderen Herausforderungen. Im Zuge des Inno-
vationswettbewerbs und der zunehmenden infor-
mationstechnischen Durchdringung des unternehmerischen
Wertschöpfungsprozesses steigt der Bedarf nach gut- bzw.
hoch qualifizierten MINT-Fachkräften
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(Bundesagentur für
Arbeit, 2014; B,S,S, 2014; BFS, 2013). Da die geburtenstarke
Kohorte der „Baby-Boomer“ sukzessive aus dem Arbeitspro-
zess ausscheidet und insbesondere spezialisierte Ingenieure
und IT-Fachkräfte schwer zu finden sind, stehen Arbeitgeber
vor der Herausforderung, sich imWettbewerb um stark umwor-
bene Nachwuchs- und Fachkräfte erfolgreich zu positionieren.
Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist, dass sich Unterneh-
men über die heutigen Präferenzen von MINT-Nachwuchs- und
Fachkräften sowie ihrer eigenen Attraktivität als Arbeitgeber
bewusst werden. In der Wirtschaftspresse, in Beraterstudien
und auch populärwissenschaftlichen Studien wird seit vielen
Jahren postuliert, dass die sogenannte „Generation Y“ (ab 1984
geborene junge Erwachsene) die Arbeitswelt mit grundlegend
neuen Erwartungen konfrontiere. Wahlweise wird die genann-
te Alterskohorte als opportunistisch und „egotaktisch“ (Hurrel-
mann/Albrecht, 2014), als süchtig nach Aufmerksamkeit und
Feedback und nicht an längerfristigen, wechselseitig verläss-
lichen Arbeitsbeziehungen orientiert beschrieben (Hauser et
al., 2011). Dass sich die Arbeitswerte und -einstellungen von Ge-
nerationen tatsächlich grundlegend unterscheiden, ist bis heu-
te allerdings umstritten. Liefern manche Querschnittstudien
durchaus Hinweise auf Unterschiede in den Arbeitswerten zwi-
schen Alterskohorten (z.B. Cogin, 2012, oder Cennamo/Gard-
ner, 2008), zeigen die Ergebnisse von Längsschnittstudien und
Metaanalysen keine signifikanten Unterschiede (z.B. Costanza
et al., 2012). Da sich innerhalb von Generationen insgesamt
eine Vielfalt an Arbeitseinstellungen und Wertvorstellungen
nachweisen lässt, die auf variierende sozioökonomische und
soziokulturelle Bedingungen und Sozialisationserfahrungen
oder die spezifische Arbeitsmarktsituation einer Berufsgruppe
zurückgeführt werden kann, ist die Annahme einer einheitlich
denkenden und handelnden Generation daher mit Skepsis zu
betrachten (vgl. Kels et al., 2015).
Arbeitgeberattraktivität aus Sicht von
MINT-Fachkräften
Von
Prof. Dr. Andrea Gurtner
(Berner Fachhochschule) und
Prof. Dr. Peter Kels
(Hochschule Luzern)
Ganz grundsätzlich jedoch müssen sich Unternehmen in
Anbetracht der demografischen Veränderungen wie auch des
intensivierten Wettbewerbs um knappe Fachkräfte die Frage
stellen, wie sie ihre Nachwuchs- und Fachkräftesicherung sys
tematisch gestalten. Anstelle pauschalisierender Aussagen
zur „Generation Y“ benötigen sie differenzierte Erkenntnisse
über die Kriterien und Präferenzen, nach denen Nachwuchs-
und Fachkräfte bestimmter Fachdisziplinen und Berufsfelder
ihren Arbeitgeber wählen, damit sie darauf aufbauend ihre
Personalmarketing- und Gewinnungspraxis zielgruppensen-
sibel ausrichten können. Während das Verhältnis von Arbeits-
kräfteangebot und -nachfrage im MINT-Bereich seit vielen
Jahren beobachtet wird, liegen zu den Präferenzen und Krite-
rien attraktiver Arbeitgeber aus Sicht von MINT-Fachkräften
im deutschsprachigen Raum bis dato kaum differenzierte
Erkenntnisse vor. Aufschlussreich etwa ist die MINT-Absol-
ventenbefragung aus der Schweiz (BFS, 2013). Die Umfrage
zeigt, dass „weiche Faktoren“ wie z.B. ein gutes Arbeitsklima
und die Möglichkeit zur fachlichen und persönlichen Weiter-
entwicklung insgesamt einen höheren Stellenwert bei der Ar-
beitgeberwahl genießen als „harte Faktoren“ wie ein sicherer
Arbeitsplatz oder ein hohes Einkommen.
Der vorliegende Beitrag setzt an dieser Stelle an. Im Rah-
men einer Mixed-Methods-Studie wurden berufserfahrene
Schweizer MINT-Fachkräfte der Generationen Y und X mittels
qualitativer Interviews, Fokusgruppen sowie einer Onlinebe-
fragung zu Präferenzen und Erfahrungen bezogen auf Arbeit,
berufliche Entwicklung, Arbeitszufriedenheit und ihrem indi-
viduellen Arbeitsmarktverhalten befragt (vgl. Kels et al., 2015).
In diesem Artikel berichten wir über die Ergebnisse einer
quantitativen Online-Befragung, die in der Deutschschweiz
durchgeführt wurde.
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Diese Befragung beleuchtet, wie MINT-
Fachkräfte der Generationen Y und X bei der Stellensuche
vorgehen und welche inhaltlichen Kriterien und persönlichen
Erfahrungen im Bewerbungsprozess für sie den Ausschlag
geben, sich für einen Arbeitgeber zu entscheiden. Die gewon-
nenen Erkenntnisse werden im vorliegenden Artikel entlang
der Frage diskutiert, inwieweit eine alterskohorten- oder ziel-
gruppenspezifische Ausrichtung der Personalgewinnungs
praxis sinnvoll ist.