Immobilienwirtschaft 2/2018 - page 24

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INVESTMENT & ENTWICKLUNG
I
KOLUMNE
pendeln, wurde selbst von linken Parteien geträumt. Wie dem
Rattenfänger von Hameln folgten viele den Klängen der Chicago
School of Economics. In Berlin hatte die staatliche Förderung des
privaten Wohnungsbaus mittlerweile auch ein stumpfsinniges
System aus korrupten Baufirmen und Fondsmanagern herausge-
bildet, das gerade mal eine Kostenmiete von 18 Euro/m² schaffte.
Die Mieten waren ohnehin schon so niedrig, dass damit kein
Geld zu verdienen war. Über Jahre war Wohnen kein Thema für
die Immobilienwirtschaft. Die demografischen Prognosen gin-
gen noch 2008 von schrumpfenden Städten aus. Die öffentlichen
Haushalte waren überschuldet. Alle mussten den Gürtel enger
schnallen. Deshalb wurde in den 90er-Jahren die Förderung im-
mer weiter reduziert, bis der Berliner Senat den sozialen Woh-
nungsbau 2002 gänzlich einstellte.
Zu diesem Zeitpunkt lagen die durchschnittlichen Mieten
unter 5 Euro/m², und es gab über 100.000 leerstehende Woh-
nungen. Damals konnte sich keiner vorstellen, dass es einmal zu
einem Mangel an einfachen Wohnungen kommen würde. Des-
halb veräußerte der Berliner Senat seit demMauerfall mit seinen
Wohnungsbaugesellschaften auchmehr als 310.000Wohnungen.
Über die Hälfte der ehemals 585.000 kommunalen Wohnungen!
Städte wie Dresden machten sich schuldenfrei, mussten da-
für aber ihren gesamten Wohnungsbestand zu Tiefstpreisen ver-
schleudern. Aus den gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaf-
ten, die nicht verkauft werden konnten, wurden Wohnungsver-
waltungsgesellschaften. Wohnungsbau war nicht mehr Aufgabe
W
er kennt dieses bange Gefühl bei der Wohnungssuche
nicht? Besonders, wenn die Finanzen knapp sind. Wie
glücklich war ich als Student, in einem ehemaligen Kin-
derkrankenhaus in Stuttgart unterzukommen (Intensivstation,
Sauerstoffanschlüsse inklusive) oder im Maison du Brésil in der
Cité Universitaire in Paris (direkt an der Stadtautobahn) und ein
paar Jahre später in einer Sozialwohnung in Brixton, London
(gegenüber der Feuerwehrstation). An allen drei Orten stand
für meine Vermieter der soziale Aspekt im Vordergrund. Immer
handelte es sich umpreisgedämpftesWohnen ohne eine Gewinn-
erwartung meiner Vermieter.
Auch inDeutschland gibt es eine lange Tradition des sozialen
Wohnungsbaus. Einige berühmte Beispiele, wie dieHufeisensied-
lung von Bruno Taut, sind heute Teil des UNESCO-Weltkultur-
erbes. Von der Internationalen Bauausstellung im Hansaviertel
1957, über die modernen Großsiedlungen Märkisches Viertel
und Gropiusstadt bis zur Internationalen Bauausstellung 1987
(„Behutsame Stadterneuerung“) wurden in allen Jahrzehnten
Wohnbauten für Bedürftige realisiert.
Irgendwann in den 90er-Jahren starb dann aber der soziale
Wohnungsbau in Deutschland. Im Windschatten der Reagono-
mics und der weltweiten Begeisterung für die Liberalisierung der
Märkte wurden die öffentlichen Institutionen zumGegenbild der
freien Wirtschaft erklärt und der Traum vom schlanken Staat
und den sich selbst regulierenden Märkten, die auf wundersame
Weise Angebot und Nachfrage immer wieder ins Gleichgewicht
Sozial wohnen
Foto: Dirk Weiß
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