Immobilienwirtschaft 2/2018 - page 25

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des Staates. Freier Markt, bitte übernimm. Du machst es besser.
Das war die Hoffnung. Ein kolossaler Irrtum. Denn es kam ganz
anders. Für die meisten überraschend. Zunächst freuten sich alle
noch ungläubig über den Zuzug in die Städte. („Vermutlich nur
ein Strohfeuer. Bald schrumpfen wir wieder.“) Dann begannen
die Mieten zu steigen. („Kein Grund zur Panik! Für Mieten über
10 Euro/m² kann ja wieder gebaut werden.“)
Die zumeist ausländischen Kapitalgesellschaften, die die
ehemals sozialen Wohnungsbaugesellschaften gekauft hatten,
optimierten ihre Rendite. Dann entnahmen viele ihren Gewinn,
indem sie weiterverkauften, und die neuen Eigentümer steiger-
ten erneut ihre Rendite. ImWesentlichen mit Billigsanierungen,
unzureichenden Instandsetzungen und Mieterhöhungen.
Zugleich fielen deutschlandweit jährlich 100.000Wohnungen
aus der Sozialbindung. Die Zahl der Sozialwohnungen sank laut
Mieterbund von 4 Millionen Ende der 80er auf heute 1,4 Milli-
onen. Mit den steigenden Preisen kam zunächst der „hochwer-
tige“ Eigentumswohnungsbau in Gang. Die Kombination von
möglichst geringem Standard und möglichst hohem Verkaufs-
preis („Erbengeneration“) führte zu hohen Renditen. Dadurch
erschienen Versicherungen und Pensionskassen wieder auf dem
Markt und ermöglichten die ersten, zaghaften Mietwohnungs-
neubauten. Jeder optimierte seine Gewinne, teureMietenwurden
von noch teurerenMieten übertroffen, andere zogen nach und die
Mieten schossen in die Höhe. Auch heute noch übersteigt in den
Städten die Nachfrage der Zuzügler bei weitemdas Angebot. Der
freie Markt kümmert sich um die renditeträchtigen, möglichst
hochpreisigenMarktsegmente. Da ist es wie in der Autoindustrie:
Je teurer der Wagen, desto höher der Gewinn.
Aber wer ist für die breite Bevölkerung da und für die, die
sich auf demMarkt nicht selbst versorgen können. Wer hilft den
Jungen, den Alleinerziehenden, den Alten, den größeren Fami-
lien, den ganz normalen Bürgern, die sich die hohen Mieten
nicht mehr leisten können? In der Vergangenheit wurden etwa
ein Drittel sozial gebundene Wohnungen als Voraussetzung für
eine ausgleichende Wohnungspolitik angesehen. Davon sind die
Städte heute weit entfernt. In den Großstädten von über 200.000
Einwohnern beträgt der kommunale Anteil gerade noch acht
Prozent. Jetzt sollen es die noch verbliebenen Wohnungsbau-
gesellschaften wieder richten. Die bekommen die verbliebenen
kommunalen Grundstücke übertragen und sollen darauf bauen,
dass es nur so kracht.
Bis 2026 soll in Berlin der Bestand der landeseigenen Gesell-
schaften von zurzeit 300.000 auf 400.000 Wohnungen anwach-
sen. Dafür investieren die sechs landeseigenen Gesellschaften
insgesamt 11,5 Milliarden Euro. Nur noch mal, weil es so weh
tut, ein Beispiel von vielen: 2004 verkaufte Berlin die GSW mit
einem Bestand von 65.000 Wohnungen an ein internationales
Konsortium zum Preis von 405 Millionen Euro. Das sind keine
6.300 Euro pro Wohnung!
Aber auch das reicht in Berlin bei 60.000 zusätzlichen Bewoh-
nern im Jahr alleine nicht aus. Für den sozialen Zusammenhalt
der Gesellschaft sieht meine Agenda für eine strategische Stadt­
entwicklung wie folgt aus: Stärkung der öffentlichen Instituti-
onen, Aufstellung neuer Stadtentwicklungspläne, Anpassung der
bestehenden Flächennutzungspläne, generell dichter und höher
bauen, Qualifizierung der bestehenden städtischen Quartiere,
Grundregeln für die Partizipation in der Stadtentwicklung ver-
einbaren, effektiver mit den Bestandsflächen umgehen, Wohnen
und Arbeiten im Gleichgewicht entwickeln, Grundstücksspeku-
lationen unterbinden, Modelle zur kooperativen Baulandent-
wicklung etablieren, Vorkaufsrecht, wo sinnvoll, zügig ausüben
und, vor allem, weitere innerstädtische Flächen als zusätzliches
Bauland für durchmischte Quartiere ausweisen.
Die meisten Städte müssen aber auch nach außen wachsen.
Neue, dichte Quartiere an den Stadträndern müssen geplant und
erschlossenwerden. Voraussetzung dafür ist eine enge Stadt-Um-
land-Kooperation in der Siedlungs- und Verkehrsplanung. Viele
Gemeinden sperren sich aber gegen eine stärkere Verdichtung
auf ihrem Gebiet. Da müssen überregionale Institutionen mit
veränderten Kompetenzen für Konsens sorgen.
Stadtplanung ist ein Marathonlauf und eine Gemeinschafts-
aufgabe. Sie erfordert visionäres Handeln. Zickzackkurse führen
in den Graben. Wohnen ist ein Grundbedürfnis des Menschen.
Eine Gesellschaft, die das nicht angemessen bietet, hat ihre Auf-
gabe verfehlt.
Aus meiner Agenda für strategische Stadtentwicklung: dichter bauen,
höher, Quartiere qualifizieren, effektiver mit Bestandsflächen umgehen,
Grundstücksspekulation unterbinden, Vorkaufsrecht ausüben ...
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ZUR PERSON
Eike Becker
leitet seit Dezember 1999 zusammen mit Helge Schmidt gemeinsam das Büro Eike Becker_Architekten in Berlin.
Internationale Projekte und Preise bestätigen seitdem den Rang unter den erfolgreichen Architekturbüros in Europa. Eike Becker_Architekten arbeiten
an den Schnittstellen von Architektur und Stadtplanung mit innovativen Materialien und sozialer Verantwortung.
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