Immobilienwirtschaft 3/2017 - page 35

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als Sieger präsentiert. Ein großartiges Architekturbüro, gerade
wegen der Elbphilharmonie hoch gelobt, weltweit vielfach aus-
gezeichnet, Giganten unter den Riesen. So weit, so gut. Aber jetzt
kommt’s: Der Entwurf hat die Form eines in dunkelbraunemZie-
gel gemauerten Wiesenzeltes. Ein über das gesamte Grundstück
breitgeklopftes Knusperhäuschen, eine Satteldach-beschirmte
Bahnhofshalle, ein umgefallener Grabstein für das Beste des 20.
Jahrhunderts. Das soll die herausragende intellektuelle Meister-
leistung unter fast 500 Angeboten gewesen sein? Ein Haus der
Kunst, eine Urhütte, ein kolossaler Bruch mit der modernen
Großtradition des Kulturforums. Das Haus vom Nikolaus zwi-
schen den Demoiselles d’Avignon und dem Schwarzen Quadrat
von Malewitsch. Wie konnte das geschehen?
Mich interessieren in diesem Zusammenhang nicht Themen
wie Affinitäten zwischen Jurymitgliedern und Wettbewerbsteil-
nehmern. (Zwei einflussreiche Eidgenossen in der Jury wählten
ihre Freunde auf den ersten Platz.) Auch der Zynismus interessiert
mich nicht, mit dem fast 500 anderenArchitekturbüros eine echte
Chance vorgegaukelt wurde. (Weshalb ich persönlich nicht teilge-
nommen habe.)Mich interessieren nicht die beteiligten Personen,
sondern die Strukturen, die zu dieser Art von monumentalen
Entwürfen tendieren. Hier an diesem Beispiel stellvertretend für
viele andere Wettbewerbe überall im Lande.
Wie erfahren auch immer eine Gruppe von Juroren ist: Die
Auswahl, bereits aus einem Feld von 20 Entwürfen, stellt eine an-
spruchsvolle, unübersichtliche Aufgabe dar. Das kenne ich selber
aus Erfahrung nur zu gut. Das erste Ziel der Jury ist deshalb die
Vereinfachung durch Aussortieren. Nach dem Prinzip: Ich weiß
schnell, was ich nicht will, aber noch nicht, was ich will.
Dabei tun sich einfache, rustikale Konzepte, die weniger ris-
kieren, leichter. Sie bieten kaumAngriffsflächen und durchstehen
diese Phase besser. Rationale Konzepte, ableitbar und erläuterbar,
sind eher konsensfähig. Ähnlich wie beim Fußballtippen ist ein
1:0 deutlich wahrscheinlicher als ein 4:3.
Denn klare und einfache Setzungen sind wie die Überschrif-
ten der Boulevardzeitungen. Sofort verständlich. Bereits bekannte
Archetypen sind wie Schlager aus den 70ern. Jeder kannmitsum-
men. Architektonische Themen wie die Veranschaulichung des
Tragens und Lastens, ablesbar auf der Fassade oder imRaum, dis-
ziplinieren weiter und bieten ebenfalls Wiedererkennungswert.
Ambitionierte Niedrigenergiekonzepte sind eher störend.
Wie viel Energie verbraucht wird und wie viel der Betrieb so eines
Riesenhauses dann kostet, interessiert diemeisten Jurymitglieder
sowieso nicht.
Das trifft auch auf soziale Belange zu. Wie stark sich ein Haus
nach außen öffnet und zum Treffpunkt und Marktplatz werden
kann, müssen dann wohl die Nutzer selber lösen. Aber ohne eine
Narration geht es heute nicht. So können neue Häuser wie ein
altes Industriegebäude oder ein historisches Bürohaus aus den
20ern, vielleicht den 30ern oder den 50ern aussehen. Wir leben
ja in nachmodernen Zeiten. Dadurch verengen sich die architek-
tonischenMöglichkeiten auf die feinenUnterschiede, auf Details.
Wer sich zuerst bewegt, hat verloren.
VEREINFACHUNG UND MONUMENTALISMUS
All diese Ansprüche
führen zu festen, eindeutigen, klaren, harten, kantigen Häusern,
zu Vereinfachung und Monumentalismus. Bezüge auf die Ge-
schichte sind wichtiger als die Erfindung neuer Formen. Wenn
es unübersichtlich wird, nimmt die Sehnsucht nach einfachen
Lösungen zu. Organisatorische Offenheit und formale Vielfalt
sind dann nicht mehr gefragt. Viel zu häufig werden Entwürfe
prämiert, die der Unübersichtlichkeit der Welt eine schwere,
feste Trutzburg entgegensetzen. Dabei geht aber die Neugier
und Heiterkeit, die Sinnlichkeit und Modernität verloren und
Zynismus tritt an ihre Stelle.
Nicht mehr nach vorne gewandt, zuversichtlich und erfin-
dungsreich, sondern affirmativ, populistisch, retrospektiv und
monumental sehen viele neue Gebäude in Hamburg, Frankfurt,
Berlin oder München aus. Das sind für mich die Vorboten einer
rückwärtsgewandten, selbstbezogenen und begrenzten Welt.
Architektonische Entscheidungen sind immer auch gesell-
schaftliche Entscheidungen. Es geht darum, sich nicht in die De-
fensive drängen zu lassen, sondern auf Abschottung, Nostalgie
und Verzagen mit Offenheit, Neugier und Mut zu reagieren.
Affirmativ, populistisch, retrospektiv und monumental sehen viele neue
Gebäude in Deutschland inzwischen aus. Das sind für mich die Vorboten
einer rückwärtsgewandten, selbstbezogenen und begrenzten Welt.
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ZUR PERSON
Eike Becker
leitet seit Dezember 1999 mit Helge Schmidt gemeinsam das Büro Eike Becker_Architekten in Berlin.
Internationale Projekte und Preise bestätigen seitdem den Rang unter den erfolgreichen Architekturbüros in Europa. Eike Becker_Architekten arbeiten
an den Schnittstellen von Architektur und Stadtplanung mit innovativen Materialien und sozialer Verantwortung.
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