Immobilienwirtschaft 4/2016 - page 27

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4.2016
Während des Ausbaus geraten wir in Panik: Unser Vermieter hat
ein Intranet und der Internetanschluss hat für uns eine Übertra-
gungsrate, die bei 5 Prozent unserer bisherigen Geschwindigkeit
liegt. Undmobil telefonieren geht wegen der abschirmenden Son-
nenschutz-Bedampfung auf den dreifachverglasten Scheiben im
15.OG auch nicht. Hiiilfe!!! Zu unserer Erleichterung sehen zum
Einzug die Räume ohne Teppich und Trennwände endlichwieder
wie ein Rohbau aus, ein Loft, ein profaner, bescheidener Ort voller
unterschiedlicher Kommunikations- und Arbeitsmöglichkeiten.
Das neue Viertel entlang der Heidestraße vor dem Haupt-
bahnhof zählt zu den innerstädtischen Erweiterungsflächen der
Stadt. Noch wird hier der Tunnel für die S21 gebaut, aber weitere
Hochhäuser sind um den Bahnhof möglich. Ich liebe diese Orte,
an denen die Veränderungen des Stadtkörpers so sichtbar wer-
den. Wenn sich dann der Verkehrsstau durch die Fertigstellung
der ganzen Baustellen wieder aufgelöst hat, ziehen wir wieder
weiter. Unsere Räume sind hell, lichtdurchflutet, ein großer Raum
für alle, Blick über Berlin nach Osten, Süden und Westen. Alle
Arbeitsplätze sind nahezu gleich ausgestattet. Auchmein eigener.
Ich versuche für alle überwiegend ansprechbar zu sein. Das
Büro der kurzen Wege, alle auf einer Ebene, kaum Hierarchien.
Die, diemehr wissen, stehen denen, die nachkommen oder schon
länger dabei sind, mit ihrer Erfahrung zur Verfügung. Eine Art
offener Campus für kontinuierliches Wissensmanagement und
beständige Suche nach dem Gemeinsamen und Neuen. Eine
Werkstatt, in der gemeinsam gebastelt, gedacht und ausprobiert
wird. In der Mitte eine geräumige Küche, Anlaufstelle für alle.
ANDERS ARBEITEN
Mit der Digitalisierung und den sozialenMedi-
enwirdArbeiten gerade wieder völlig anders. NeueUnternehmen
mit veränderten Kulturen wimmeln durch die Stadt. ImFrühjahr
2016 gibt es etwa 6.000 Digital Start-ups in Deutschland, 2.000
davon in Berlin. Von den Top 50 schnell wachsenden Unterneh-
men in Deutschland sind zurzeit 32 in Berlin. Das summiert sich
auf 300.000 neue Arbeitsplätze, wie es Engelbert Lütke Daldrup
von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung undUmwelt aus-
drückt. Die Protagonisten drängen in die zentralen, gewachsenen
Lagen. Alles geht; nur nach Büro sollte es nicht aussehen. „Life
is too short for a boring office“ ist die vollmundige Überzeugung
von Mindspace, einem Büroanbieter, der seinen ersten Stand-
ort in Berlin eröffnet. „Flexible monthly membership options.
Stocked kitchens and stunning meeting rooms. 24/7 access.“
DerWettlauf umdie Talente ist zum entscheidenden Erfolgs-
faktor geworden. KaumeinHochveranlagter geht freiwillig an die
Peripherie. Die wollen in die Mitte der Städte, an die Kochstellen
der Gesellschaft von morgen. Ach ja, die Umbauten im GSW-
Hochhaus sind in vollemGange: Anstelle der 200 PKWStellplätze
werden jetzt 1.000 Fahrradboxen in den Keller gebaut, imErdge-
schoss entstehen Cafés und Restaurants, und für die Dachterrasse
mit der schönsten Aussicht von Berlin verschwindet die Technik.
Zurück zumThema: Trennungen zwischen einzelnen Abtei-
lungen, lebenslange Arbeitsverträge, zugeordnete Arbeitsplätze,
das alles ist von gestern. Immer mehr löst sich auf, vieles wird un-
übersichtlicher und unschärfer. Umso wichtiger wird der Ort, an
dem all das stattfindet. Immer stärker rückt die Zusammenarbeit
in den Mittelpunkt. Zuvor getrennte Tätigkeiten und Orte wer-
denmiteinander gekreuzt oder verbunden. ArbeitenmitWohnen
führt etwa dazu, dass sich die Büro- der Wohnzimmereinrich-
tung annährt. Die Verbindung von Arbeiten und Hotel führt zu
einer Willkommenskultur und zu Büros, die einer Hotellobby
gleichen. Die Mischung von Arbeitsplatz und Werkstatt führt
zu Highboards, Denkzellen und Telefonboxen. Die Verbindung
von Büro und Jugendherberge führt zu einer hierarchiearmen
Zusammenarbeit. Und die von Arbeits- und Sportplatz führt zu
einer besseren Teambildung und der Vorstellung: „Gemeinsam
sind wir stark“. Die Kombination von Arbeitsplatz und Land-
schaft führt heraus aus demBergdorf und hinein in dieWeite der
Ebene. Weg von den einzelnen Zimmern und hinaus in das freie
Feld der offenen Büroflächenmit möglichst allen auf einer Fläche.
Die Art und Weise, wie wir arbeiten, verändert sich konti-
nuierlich und radikal. Die Räumlichkeiten hierfür stehen heute
erst in begrenztem Maße zur Verfügung. Das zu ändern ist eine
Aufgabe, die ganze Organisationen besser macht und vielen Ein-
zelnen ein erfülltes, kreatives Arbeitsleben ermöglicht.
Keine zugeordneten Arbeitsplätze mehr, keine lebenslangen Verträge.
Dafür wird Zusammenarbeit wichtiger. Doch Neubauten sind oft nicht
flexibel. Wie schnell Büroräume für heute von gestern sein können!
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ZUR PERSON
Eike Becker
leitet seit Dezember 1999 zusammen mit Helge Schmidt gemeinsam das Büro Eike Becker_Architekten in Berlin.
Internationale Projekte und Preise bestätigen seitdem den Rang unter den erfolgreichen Architekturbüros in Europa. Eike Becker_Architekten arbeiten
an den Schnittstellen von Architektur und Stadtplanung mit innovativen Materialien und sozialer Verantwortung.
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