Lutz Freitag:
Ich begrüße Sie zum 23.
Brandenburger-Hof-Gesprach. Dieses Mal vertre-
te ich Jurgen Steinert, der leider aus gesundheit-
lichen Grunden dieModeration nicht ubernehmen
kann. Bei der nächsten Gesprächsrunde ist er dann
wieder der Moderator.
2017 ist Wahljahr. Am 24. September wird der
Bundestag gewahlt und imSaarland, in Schleswig-
Holstein und in Nordrhein-Westfalen haben die
Wahlen auf Landesebene bereits stattgefunden.
Von daher ist es keinWunder, dass das Thema die-
ses Brandenburger-Hof-Gesprachs „Bundestags-
wahl 2017: Erwartungen der Wohnungswirtschaft
an die Politik“ lautet. Man konnte auch formu-
lieren: Forderungen der Wohnungswirtschaft an
die Politik.
Aus meiner Sicht haben wir in diesem Jahrzehnt
einen politischen Paradigmenwechsel erlebt.
Zwischen 2001 bis 2010 wurde die Wohnung
hauptsächlich als Wirtschaftsgut wahrgenommen.
Der Mainstreamwar, öffentliche und kommunale
Wohnungsunternehmen in Frage zu stellen und
auch zu verkaufen. Es herrschte die Auffassung
vor, es sei alles gebaut undman brauche keine be-
sonderen Neubauaktivitätenmehr. Der Leerstand
in Ostdeutschland beherrschte die stadtentwick-
lungs- und wohnungspolitische Debatte.
In diesem Jahrzehnt orientiert sich der politische
Mainstream hingegen an den Hotspots. Etwa 35
wachsende Städte bestimmen die Sichtweise der
Politik, während die Probleme von Regionen,
die unter wieder zunehmendem Bevölkerungs-
schwund leiden, vernachlässigt werden. Hinzu
kommt: Die Wohnung wird jetzt viel stärker als
Sozialgut und kaum noch als Wirtschaftsgut
gesehen. Dieses politische Wechselbad tut der
Bewirtschaftung der Wohnimmobilie und dem
Neubau nicht gut.
Der Umgangmit Gebäudenmuss sich an deren Le-
benszyklen und nicht an kurzfristigen politischen
Veränderungen orientieren. Deshalb geht meine
erste Frage an Herrn Ernst. Anfang des Jahres
gab es im Berliner Senat Überlegungen, recht-
lich verbindliche Mieterhö-
hungen der landeseigenen
Wohnungsbaugesellschaften
rückgängig machen zu wol-
len. Sie waren zehn Jahre
Geschaftsfuhrer der Woh-
nungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM). Wie
hatten Sie auf dieses Ansinnen reagiert?
Lars Ernst:
Ich würde gern antworten, dass un-
ternehmerisches Handeln auch in den kommu-
nalen Gesellschaften die Leitlinie sein sollte.
Allerdings ist das eine Wunschvorstellung, die
sich aus nachvollziehbaren Gründen nicht unein-
geschränkt realisieren lässt. Der Gesellschafter
hat nun einmal einen politischen Willen und eine
kommunale Gesellschaft ist gefordert, weisungs-
gebunden zu handeln. Trotzdem setzt der Berliner
Senat ein falsches Signal. Sein Beschluss wider-
spricht der Grundforderung nach nachhaltigem,
vertrauenswürdigem und belastbarem Handeln.
Die Mieterhöhungen, um die es geht, wurden ja
völlig korrekt im Rahmen der gesetzlichen Vor-
gaben und der Vereinbarungen mit dem Senat
beschlossen. Damit signalisiert die Politik, dass
alles, was heute gesagt wird, morgenwieder ganz
anders sein kann. Die Basis für die Investitions-
entscheidungen sindmorgen alsomöglicherweise
Schall und Rauch.
Lutz Freitag:
Das unterstreicht die unterschied-
lichen Zeithorizonte, an denen sich Politik und
Wohnungswirtschaft orientieren. Die Politik ist
auf Legislaturperioden festgelegt, dieWohnungs-
unternehmen hingegen auf den Lebenszyklus der
Immobilien. Loriot hätte vermutlich gesagt:
23. Brandenburger-Hof-Gespräch
Streit um die neue Wohnungsgemeinnützigkeit
Im Mittelpunkt der Debatte stand die Diskussion über eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit. Dabei
gerieten Mieterbund-Direktor Lukas Siebenkotten und die Vertreter der Wohnungswirtschaft hart
aneinander – um sich dann schließlich doch wieder anzunähern.
„Die Basis für die Investitionsentscheidungen sind
morgen möglicherweise Schall und Rauch.“
Lars Ernst
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6|2017