DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT6/2017 - page 52

Mit Blick auf Berlin und andere Großstädte
ist festzuhalten, dass die kommunalen
Gesellschaften in den letzten Jahren eine
Herkulesaufgabe geleistet haben. Aufgrund
ihrer Nähe zur Politik mussten sie wieder in
den Neubau einsteigen und dabei quasi von
null auf hundert beschleunigen.
Diese Aufgabe haben sie mit Bravour erfüllt,
vor allem wenn man berücksichtigt, dass
die Politik nicht nur den Bau von Wohnun-
gen fordert, sondern dass diese Wohnungen auch noch sozialverträglich,
schön, günstig, auf dem höchsten energetischen Standard und nach den
neusten Regeln der Technologie ausgestattet sein sollen. Dieser Heraus-
forderung werden sich die Gesellschaften auch in Zukunft stellen müssen.
Das gilt besonders für Berlin, wo der neue Senat beimNeubau sehr stark die
kommunalen Gesellschaften in die Pflicht nimmt und die privaten Unter-
nehmen in diesem Zusammenhang nicht einmal erwähnt.
Ich bin hingegen überzeugt, dass die Politik nicht nur an ihre kommunalen
Gesellschaften denken, sondern über den Tellerrand hinausschauen sollte.
Weil in den Großstädten kaum mehr Neubauflächen zu finden sind, muss
die Politik das Thema Region ansprechen. In Berlin z.B. heißt das, Branden-
burg einzubeziehen. Wie kann es gelingen, Regionen wieder attraktiver zu
machen? Z.B. dadurch, dass die Umlandgemeinden an S-Bahn und U-Bahn
angebunden werden und so diese Gemeinden als Wohnort attraktiver wer-
den.
Allerdings muss man dabei darauf achten, dass die Infrastruktur nachzieht,
dass also genügend Schulen, Arztpraxen und Einkaufsmöglichkeiten ent-
stehen. Die kommunalen Gesellschaften sind meines Erachtens gefordert,
diese Entwicklung mit voranzubringen und zu zeigen, dass sie auch in den
außerhalb der Hotspots befindlichen Regionen Verantwortung überneh-
men können.
Dabei agieren die kommunalen Gesellschaften in einem komplexen Span-
nungsfeld. In den Jahren, bevor die Neubauthematik in den Vordergrund
getreten ist, sind sie wirtschaftlich gesundet. Vor dem Hintergrund der
heutigen Herausforderungen stellt sich die Frage, ob jetzt möglicherweise
die Eigenkapitalquote und damit die zukünftige Ertragskraft gefährdet
werden. Denn die Neubaumaßnahmen müssen ja irgendwie finanziert wer-
den. Eigenkapital ist aber ein knappes Gut, und die Politik ist in der Regel
nicht bereit, zusätzliches Eigenkapital einzubringen. Deshalb muss darauf
geachtet werden, dass die langfristige Nachhaltigkeit und Ertragskraft
der kommunalen Gesellschaften gewährleistet bleiben. Wohnimmobilien
sind ein langfristiges Investitionsgut. Genau deswegen müssen wir von der
Politik fordern, nicht nur in Legislaturperioden zu denken.
Auch von der Bundespolitik müssen wir fordern, die ländlichen Regionen
zu stärken. Denn ein Land entwickelt seine Attraktivität nicht ausschließ-
lich über seine großen Städte. Da sehe ich einen großen Nachholbedarf.
Wenn die ländlichen Regionen z. B. am Megatrend Digitalisierung nicht
teilnehmen, schneiden wir sie von der Zukunft ab. Den ländlichen Raum
wieder attraktiv zu machen, bedeutet übrigens vielleicht auch, ein Stück
weit die Städte weniger attraktiv zu machen.
immer noch nicht, während wir seither wahrscheinlich 500 oder 600
Wohnungen gebaut hätten. Inzwischen fördert der Freistaat Sachsen den
Bau von Sozialwohnungen, wobei die Richtlinie nur auf Wohngeldemp-
fänger, Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger abstellt. Sozial definiere ich
anders. Die Mietbindung ist auf 15 Jahre festgesetzt. Was danach kommt,
weiß keiner. Das ist für uns ein großes Problem, um das sich die Politik
nicht kümmert – nach dem Motto: Nach mir die Sintflut.
Die Endstation politischen Handelns ist die Wohnung. Klimaschutz, Breit-
bandversorgung, ambulante Versorgung, günstige Mieten, Daseinsvor-
sorge im ländlichen Raum – das sind Themen, die zwar unterschiedliche
Ministerien betreffen, die aber alle in der Wohnung ankommen. Viele
dieser Themen sind Bundesangelegenheit. Das gilt besonders für den
Stadtumbau, für den wir weiterhin Förderung in Größenordnungen brau-
chen. Unsere Kollegen in den alten Bundesländern brauchen sie mögli-
cherweise weniger. Aber ihnen sage ich: Auch ihr werdet diese Förderung
noch brauchen, denn die Zuwanderung wird sich auf die großen Städte
konzentrieren. Die Flüchtlinge werden nicht in den Kleinstädten bleiben,
wo viele Wohnungen leer stehen. Deshalb müssen wir darüber reden, wie
wir die Schrumpfung gestalten.
Das zweite große Thema ist die Energie. Gerade im ländlichen Raum ist
es wichtig, eine vernünftige Nahwärmeversorgung mit Mieterstrom zu
realisieren, um die Betriebskosten in Grenzen zu halten. Nur wenn uns
das gelingt, haben wir den nötigen Spiel-
raum für die energetische Modernisierung.
Denn das Wohnbudget der Menschen in
Sachsen ist bei einem durchschnittlichen
Bruttohaushaltseinkommen von 25.000 €
begrenzt.
Drittes Großthema ist alles, was mit der
Wohnung als Gesundheitsstandort und
dem Wohnen im Alter zusammenhängt.
Von unseren Mitgliedern haben wir einen
eindeutigen Auftrag erhalten: Sie wollen in ihrer Wohnung alt werden.
Um das zu erreichen, haben wir zwei konkrete Vorschläge an die Gesund-
heitswirtschaft.
Zum einen schlagen wir vor, den Katalog der Pflegekassen zu Wohnum-
feld verbessernden Maßnahmen zu aktualisieren (4.000 €). Wir möchten
z.B., dass auch Maßnahmen zur Sturzprävention sowie ein automatischer
Strom- und Wasserstopp bezuschusst werden. Zum Zweiten wollen wir
die Krankenkassen dazu bewegen, dass sie ihre Kataloge auf den neues-
ten Stand bringen und beispielsweise nicht nur Geld für den Notfallknopf
geben, sondern auch für den Bewegungsmelder, der um Hilfe ruft, wenn
der Bewohner das selbst nicht mehr kann. Solche Veränderungen auf
Bundesebene wären für uns sehr hilfreich.
Lars Ernst, Group Managing Director Business Consulting & Services, Aareal Bank AG, Wiesbaden
Die Bundespolitik muss die ländlichen Regionen stärken
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