MARKT UND MANAGEMENT
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1|2016
Erstaufnahmeplätze (also Unterkünfte für die
ersten Wochen des Aufenthalts in Deutschland)
benötigt werden. Die Zahl der bis 2017 zusätzlich
benötigten Wohnungen für den anschließenden
regulären Aufenthalt schätzt Zorn auf 455.000.
Hamm: Dienstleister für die öffentliche Hand
Im Fall der ehemaligen Kaserne in Hamm handelt
es sich um eine Zentrale Unterbringungseinrich-
tung. Hier wohnen Menschen, die bereits in einer
Erstaufnahmestelle registriert worden sind und
jetzt auf die Entscheidung im Asylverfahren war-
ten. „Im Januar 2015 hat uns die Stadt angespro-
chen, ob wir die Instandsetzung der Newcastle
Barracks übernehmen könnten“, sagt HGB-Chef
Jörrißen. Daraufhinmietete die HGB die Immobilie
von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben
(BImA) und vermietete sie für einen Zeitraumvon
zwanzig Jahren weiter an das Land Nordrhein-
Westfalen, das seinerseits die Malteser Werke
gGmbh Köln damit beauftragte, die Einrichtung
zu betreiben.
Die städtisch kontrollierte Wohnungsgesellschaft
fungierte in diesemFall also als Dienstleister für die
öffentliche Hand. „Wir haben das Raumprogramm
des Landes bautechnisch umgesetzt“, verdeutlicht
dies Jörrißen. Für die Betreuung der Bewohner ist
die HGB nicht verantwortlich, und auch das wirt-
schaftliche Risiko für den Fall, dass die Flüchtlings-
zahlen in Deutschland in Zukunft wieder sinken
sollten, muss sie nicht tragen – die Miete zahlt ja
das Land Nordrhein-Westfalen.
Trotzdemwar die Aufgabe alles andere als einfach.
„Eine große Herausforderung war es, trotz der
vorgeschriebenen europaweiten Ausschreibung
der Bauleistungen dem großen Zeitdruck gerecht
zu werden“, erläutert Jörrißen. Mit Hilfe einer
Rechtsanwaltskanzlei sei es gelungen, das Aus-
schreibungsverfahren wegen der Dringlichkeit zu
verkürzen. Eine „Mammutaufgabe“ sei das Vorha-
ben zudem in finanzieller Hinsicht gewesen. Finan-
ziert wurden die Maßnahmen über das Programm
Infrastruktur der landeseigenen NRW-Bank. Die
Miete des Landes entspricht den Darlehenskosten
plus einem Aufwandszuschlag.
Und wie stehen die HGB-Mieter zum Engagement
ihres Vermieters? „Es gab durchaus kritische Anfra-
gen vonMietern“, antwortet Jörrißen. „In unserem
Bestand ist nicht alles Gold. Deshalbmussman auf-
passen, dass nicht Sozialneid auftritt. Aus diesem
Grund halte ich es nicht für sinnvoll, Neubauten
speziell für Flüchtlinge zu errichten. Besser ist es
meiner Ansicht nach, Neubauten für alle Mieter
zu realisieren und die dadurch frei werdenden
Bestandswohnungen Flüchtlingen anzubieten.“
Schwerin: Dezentrale Unterbringung
Auf die Unterbringung von Flüchtlingen in gro-
ßem Stil setzt die Wohnungsgesellschaft Schwe-
rin (WGS). Bis Ende September 2015 brachte sie
328 Asylbewerber in 91 vorher leer stehenden
Wohnungen unter. Dabei handelt es sich nicht um
langfristig vermieteteWohnungen für Flüchtlinge,
bei denen feststeht, dass sie dauerhaft in Deutsch-
land bleiben, sondern um Übergangsunterkünfte
während der Zeit des Asylverfahrens. Hier setzen
die Stadt und die WGS konsequent auf eine de-
zentrale Unterbringung – was deshalbmöglich ist,
weil die WGS noch vor kurzem einen Leerstand
von 18% aufwies.
„Ganz wichtig ist, dass wir die Menschen nicht
konzentriert in zum Abriss vorgesehenen Gebäu-
den unterbringen, sondern dezentral“, betont
WGS-Geschäftsführer Thomas Köchig. Konkret
handelt es sich meist um 3-Raum-Wohnungen
im dritten bis fünften Obergeschoss von Häusern
ohne Fahrstuhl. Die WGS nimmt in diesen Fällen
eine Grundrenovierung vor, die beispielsweise die
Aufarbeitung der Fußböden, die Ertüchtigung des
Bads und den Einbau einer Miniküche umfasst. In
den sparsammöbliertenWohnungenwerden dann
vier Personen untergebracht, wobei sich je zwei
ein Zimmer teilen und das dritte Zimmer als Auf-
enthaltsraum dient.
DieMiete für diemöbliertenWohnungen liegt laut
Köchig 1 €/m
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über den Kosten der Unterkunft.
Der Geschäftsführer wäre jedoch bereit, auch zu
den Kosten der Unterkunft zu vermieten – vor-
ausgesetzt, das Land zahlt einen Zuschuss an die
Instandsetzungskosten. Die Instandsetzung stellt
laut demWGS-Chef nämlich eine hohe Belastung
dar, die das Unternehmen auf Dauer finanziell
überfordern würde.
Bei der Betreuung der neuenMieter engagiert sich
die WGS ebenfalls. Mehrere Mitglieder des Ver-
triebsteams lernen Arabisch, und die Stadt bezahlt
zwei arabischsprachige Betreuer. Bei den Reaktio-
nen der Bestandsmieter beobachtet Köchig das ge-
samte Spektrumvon Ablehnung bis zur Einladung
zumKaffeetrinken. Zu Klagenwegen Ruhestörung
oder gar gewalttätigen Auseinandersetzungen sei
es bisher nicht gekommen. Trotzdem steht für Kö-
chig fest, dass in zumAbriss vorgesehenen Hoch-
häusern keine Flüchtlinge untergebracht werden
sollen. „Die Hochhäuser wären bei gewalttätigen
Attacken nicht zu verteidigen“, begründet er dies.
Hingegen ist der Abbruch einiger 5-geschossiger
Häuser vorsorglich zurückgestellt worden.
Quelle: WGS
Wiesbaden-Weidenborn 2015: hier entstanden zahlreiche neue Eigentums- und Mietwohnungen. Die
1950er-Jahre-Bauten (links im Bild) sind eigentlich zum Abriss bestimmt. Kurzfristig stellte die GWW
Wiesbadener Wohnbaugesellschaft mbH sie für die Unterbringung von Flüchtlingen zur Verfügung
Quelle: NOACK Immobilien