DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 1/2016 - page 60

58
1|2016
MARKT UND MANAGEMENT
Interview mit Dr. Thomas Hain
„Nachhaltigkeit: Gutes Gen
der Wohnungswirtschaft“
Der leitende Geschäftsführer der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte/Wohnstadt ist seit Mai 2015
Vorsitzender des Vorstands der Arbeitsgemeinschaft Großer Wohnungsunternehmen (AGW), die zusammen
mit dem GdW und dem Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) eine branchenspezifische Ergänzung zum
Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) erarbeitet hat. Ein Gespräch über die Bedeutung der Nachhaltigkeit.
Quelle: NaHeimst
Herr Dr. Hain, ist die Wohnungswirtschaft
mit ihrem Geschäftsmodell und Auftrag,
preiswerten Wohnraum bereitzustellen,
nicht ohnehin zu einem langfristigen, ganz-
heitlichen Handeln verpflichtet? Warum ist
Nachhaltigkeit plötzlich so ein Thema?
Unsere Geschäftsmodelle befinden sich immer
mehr im Schnittpunkt großer Themen: Klima-
wandel, Technisierung, Energieeffizienz, De-
mografie, Migration, Umweltbelastung, Roh-
stoffverknappung, Urbanisierung, öffentliche
Finanzen und Verschuldung bis hin zu Gesund-
heitsfragen – Nachhaltigkeitsthemen mit großer
Bandbreite. Einhergehend werden die Aufgaben
komplexer und heterogener: In sozialer Hinsicht
vollzieht sich dies analog zur Entwicklung der
Gesellschaft, in räumlicher Hinsicht gemäß der
wachsenden Disparität zwischen Ballungsräumen
und strukturschwachen Regionen. Aber auch bei
der Integration von Zukunftsaufgaben wie Kli-
maschutz, Schonung von Ressourcen bis hin zur
Transformation in Richtung postfossile, suffizien-
te Gesellschaft sindWohnungsunternehmen heute
überproportional gefordert.
Obwohl wir in vielen Bereichen bereits erhebli-
che Beiträge zur nachhaltigen Entwicklung leisten
und über „gute Gene“ verfügen, stehenwir meines
Erachtens noch am Anfang eines tiefgreifenden
Prozesses. Es gilt, Zielkonflikte zu bearbeiten, ver-
schiedene Segmente der Nachhaltigkeit miteinan-
der zu verbinden und deren Einflüsse auf unsere
Geschäftsmodelle zu erkennen, zu verstehen und
umzusetzen.
GdW und AGW haben als erste Branche eine
Entsprechenserklärung zum DNK vereinbart.
Erste Einzelunternehmen ziehen nach. Sehen
sich die AGW-Unternehmen als Vorreiter?
Durchaus, denn die Wohnungswirtschaft ist
aufgrund ihrer Historie immer eine Branche ge-
wesen, die zwangsläufig nachhaltig gehandelt,
gewirtschaftet und investiert hat. Die Pflege und
Erhaltung großer Bestände über Jahrzehnte, deren
konsequente Erhaltung und kontinuierliche Wei-
terentwicklung als lebenswerter Wohnraumwaren
schon immer unser originäres Geschäftsfeld.
Folglich sind Wohnungsunternehmen auch heu-
te beispielsweise prädestiniert, einen wesentli-
chen Beitrag für die dezentrale Versorgung mit
regenerativen Energien zu leisten. Die Ziele des
Klimaschutzes lassen sich durch die effiziente
Erzeugung von Wärme und Strom in unseren Be-
ständen und Quartieren auch mit sozialen Zielen
wie etwa der Stabilisierung der Betriebskosten für
die Mieter verbinden. Als große Wohnungsunter-
nehmen verfügen wir schon seit geraumer Zeit in
diesen nachhaltigkeitsrelevanten Themenfeldern
über Erfahrungen und Potenziale, die es uns ge-
statten, an aktuellen Diskussionen teilzuhaben
– etwa bei der Verschärfung der EnEV zum 1. Ja-
nuar 2016 oder der neuen EU-Gebäuderichtlinie,
die ab 2021 für Neubauten nur noch „Niedrigst-
energiegebäude“ vorschreibt. Ausschließlich auf
die Dämmung der Gebäudehülle auf der Ebene
einzelner Gebäude zu setzen, erscheint immer
unwirtschaftlicher. Unser Verband sieht eine Fo-
kusverschiebung auf die Quartiersebene als un-
erlässlich – mit Verbundlösungen, die über die
reine Senkung des Energiebedarfs hinausgehen
und Möglichkeiten zur Substitution und effizi-
enten Erzeugung beinhalten.
Die Herausforderungen, vor denen die Woh-
nungswirtschaft steht, sind komplex – ob es
die Integration von Flüchtlingen, die wach-
senden Disparitäten zwischen Stadtteilen
oder die Energiewende betrifft. In welcher
Dimension der Nachhaltigkeit – die soziale
bzw. gesellschaftlich-kulturelle, die ökolo-
gische oder die ökonomische – sehen Sie für
die Branche die größten Aufgaben?
Eine Trennlinie zwischen den einzelnen Berei-
chen ist schwer zu ziehen, ebenso ist es proble-
matisch, eine Priorisierung zu treffen. Aus den
zuvor genannten Gründen, die eng mit aktuellen
gesetzgeberischen und steuerlichen Fragen ver-
bunden sind, ist derzeit sicherlich eine Dominanz
der ökologischen Dimension der Nachhaltigkeit
zu verzeichnen, jedoch eng verwoben mit der
Aufklärung von Mietern rund um Energiefragen
1...,50,51,52,53,54,55,56,57,58,59 61,62,63,64,65,66,67,68,69,70,...76
Powered by FlippingBook