DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 8/2015 - page 65

63
8|2015
Fünftel der gemeinschaftlichen Wohnprojekte in
Deutschland. Gemeinschaftliche Wohnprojekte
unterscheiden sich aber nicht nur nach der Rechts-
form, sondern auch nach demEntstehungsmodus.
Mindestens zwei Wege sind denkbar: Eine (Bewoh-
ner-)Gruppe gründet eine Genossenschaft eigens
für einWohnprojekt (Projektgenossenschaft) oder
eine Bestandsgenossenschaft initiiert ein Wohn-
projekt innerhalb ihrer Genossenschaft.
Projektgenossenschaften haben oft wesentlich
dezidiertere Erwartungen an das gemeinschaft-
liche Wohnen, als es Bestandsgenossenschaften
haben. Die Vorstellungen werden direkt in der
Gruppe über Gremien, Beschlüsse und Arbeits-
gruppen umgesetzt. Die Bewohner sind meist
bereit, sich überdurchschnittlich für das Projekt
zu engagieren. Die hohe Zeitintensität bei allen
Abstimmungsprozessen, die Grundstückssuche
sowie die Finanzierung sind zentrale Herausfor-
derungen für die erfolgreiche Umsetzung eines
Projektes.
Geht die Initiative zur Gründung eines Wohnpro-
jektes dagegen vom Vorstand einer Bestands-
genossenschaft aus, wird den Bewohnern ge-
meinschaftliches Wohnen in einem konkreten
Projekt geboten. Der ideelle und organisatorische
Aufwand für den Einzelnen und die Gruppe kann
sich dadurch verringern, weil z. B. die erfahrene
Genossenschaft juristische und Finanzierungsfra-
gen übernimmt. Dennoch bedarf es beidseitiger
Bemühungen um ein harmonisches Miteinander
(HD) Für die Studie befragte das Deutsche Institut für Urbanistik im Auftrag des BBSR alle bis 2013 bekannten gemeinschaftlichen Wohnpro-
jekte in der Rechtsform der eG. Als gemeinschaftliche Wohnprojekte wurden Wohnformen definiert, in denen mehrere Haushalte in separaten
Wohnungen bestehen, die Bewohner sich aber gegenseitig unterstützen und ihr Zusammenleben selbst organisieren. Der Untersuchungsgegen-
stand geht damit über das klassische Mehrgenerationenwohnen hinaus.
In den untersuchten Wohnprojekten waren gemeinschaftlich genutzte und gestaltete Räume und Flächen sehr verbreitet. 97% der Wohnprojekte
in den für die Wohnprojekte eigens gegründeten Projektgenossenschaften und 86% der Wohnprojekte in Bestandsgenossenschaften verfügten
über einen Gemeinschaftsgarten oder -hof. Gemeinschaftsräume bestanden in 88% bzw. 86% der Projekte. In mehr als zwei Drittel der Wohnpro-
jekte wurde eine Gemeinschaftsküche eingerichtet. 41% bzw. 38% verfügten über eine Gästewohnung – wie intensiv Gemeinschaftseinrichtungen
jedoch genutzt werden, wurde nicht erhoben.
Zudem wurde detailliert abgefragt, welche Leistungen die Bewohner füreinander erbringen. Diese Tätigkeiten
wurden drei Kategorien zugeordnet: Gemeinschaftsbildende Aktivitäten (z. B. Feiern, AGs, „Hausmeistertätigkei-
ten“), Sharing (z. B. Einkaufsgemeinschaften) und Unterstützung (Kinderbetreuung, Haushaltshilfe, Pflege). Die
Ergebnisse zeigen, dass die meisten Bewohner sich im gemeinschaftsbildenden Bereich engagieren. In knapp 25%
der Projekte existieren selbstorganisiertes Carsharing oder Einkaufsgemeinschaften. Im Bereich Unterstützung
wurde Kinderbetreuung am häufigsten genannt. In rund 25% der Projekte werden Pflegebedürftige unterstützt.
In Wohnprojekten von Bestandsgenossenschaften kommt dies den Befragungsergebnissen zufolge seltener vor.
Solche Aufgaben werden hier oft an externe Pflegedienste vergeben. Zudem scheinen sich Bestandsgenossen-
schaften verstärkt dem Thema Seniorenwohnen zu widmen, um ihren Mitgliedern im Alter in größerem Umfang
Angebote machen zu können, die von der Beteiligung jüngerer Interessenten unabhängig sind. Projektgenossen-
schaften verfügen dagegen über keine altershomogenen Projekte für Senioren.
Die Studie ist kostenfrei zu beziehen beim BBSR:
ichwort: Neues Wohnen
ZAHLEN UND FAKTEN ZUR BBSR-STUDIE
Im brandenburgischen Neuruppin realisierte
die Bestandsgenossenschaft WBG Neurup-
pin eG „Karl Friedrich Schinkel“ ein neues
Wohnprojekt. Da sie mit ihren Angeboten ein
breites gesellschaftliches Spektrum erreichen
möchte, entwickelte sie u. a. das Wohnpro-
jekt „Seeresidenz“. Die 2- bis 3-Raum-Woh-
nungen entstanden bis 2009 als Umbau eines
Gebäudes der 1913 erbauten ehemaligen
Seekaserne.
Mit den 50 barrierearmen/-freien Wohnungen und dem hohen energetischen Standard möchte
sie besonders den Wohnansprüchen älterer Genossenschaftsmitglieder Rechnung tragen und
selbstständiges Wohnen bis ins hohe Alter ermöglichen. Alle Wohnungen sind vermietet, und
es besteht weiterhin eine hohe Nachfrage. In der Seeresidenz leben 75 Personen, überwie-
gend Rentner. Die Anfragen von Interessenten kamen zu 20% aus dem eigenen Bestand der
Genossenschaft. Dass nur relativ wenige Mitglieder umziehen wollten, liegt an der hohen
Wohnuzufriedenheit, der intakten Nachbarschaft und dem gewohnten Umfeld. Z. B. durch
einen Gemeinschaftsgarten, einen Gemeinschaftsraum und eine Gästewohnung soll das Projekt
Chancen für Begegnung und Gemeinschaft eröffnen.
PROJEKTBEISPIEL: WOHNPROJEKT „SEERESIDENZ“
Weitere Informationen:
Neubau und Sanierung
Energie und Technik
Rechtssprechung
Haufe Gruppe
Markt undManagement
Stadtbauund Stadtentwicklung
Wohnprojekt Seeresidenz mit 50 Wohneinheiten
Quelle: BBSR, Foto: Ricarda Pätzold
von Wohnprojekt und „Stammgenossenschaft“.
Inwiefern dieser Unterschied langfristig Bestand
haben wird, entscheidet sich an der Bereitschaft
bestehender Genossenschaften, Wohnprojekte
aufzunehmen.
Auf den Punkt gebracht bieten Projektgenossen-
schaften durch die Gemeinschaft ein „anderes“
Wohnen, dagegen ist in den Wohnprojekten der
Bestandgenossenschaften „normales“ Wohnen
mit mehr Gemeinschaft möglich.
1...,55,56,57,58,59,60,61,62,63,64 66,67,68,69,70,71,72,73,74,75,...84
Powered by FlippingBook