DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 8/2015 - page 66

MARKT UND MANAGEMENT
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8|2015
Herr Bimberg, die BBSR-Studie Gemein-
schaftliche Wohnformen bei Genossen-
schaften misst diesen – oftmals generati-
onenübergreifenden – Wohnformen einen
künftigen Bedeutungszuwachs bei. Die
Zusammenarbeit von Wohnprojekten mit
Bestandsgenossenschaften sei dabei für
beide Seiten vorteilhaft und verhelfe ge-
meinschaftlichen Wohnformen zu weiterer
Verbreitung. Sehen Sie das auch so?
Gemeinschaftliche Wohnformen gibt es, seitdem
es Genossenschaften gibt. Junge „Pioniere“ haben
dabei auch immer eine Rolle gespielt. Nun liegt
es jedoch im Trend, dass sich auch ältere Gene-
rationen dieser nach wie vor ansprechenden Idee
zuwenden und gemeinsammit anderenMenschen
oder GruppenWohnprojekte gründen. Wenn dann
Bestandsgenossenschaften undWohngruppen zur
Kooperation bereit sind, kann das nur von Vor-
teil für beide Seiten sein. Die einen bringen das
Jahrzehnte bewährte Know-how und die anderen
den Esprit, den Willen zum nachbarschaftlichen
Wohnen, der möglicherweise in den von Ihnen ge-
nannten „klassischen“ Genossenschaften schon
mal in Vergessenheit geraten ist.
Stehen die klassischen Genossenschaften
solchen gemeinschaftlichen Wohnprojekten
aufgeschlossen gegenüber? Werden die neu-
en Wohnprojekte eher als Konkurrenz oder
als bereichernde Ergänzung angesehen?
Nicht alle. Eine Closed-Shop-Mentalität oder ein-
facher ausgedrückt, verschlossene Türen finden
sich bei klassischen Genossenschaften, aber auch
bei denWohnprojekten, die sich bewusst abgren-
zen und ihre eigene „Kultur“ leben wollen. „Mei-
ne Genossenschaft“ setzt sich seit 1997, unserer
100-Jahres-Feier, durch Vergabe des Klaus Novy
Preises imRhythmus von fünf Jahren für den Brü-
ckenschlag von klassischen Genossenschaften und
jungen Genossenschaften bzw. genossenschaftli-
chen Initiativen ein. Wir sehen darin eine gegen-
seitige Befruchtung, einen Gewinn für alle.
Was spricht dafür, dass Wohnungsgenos-
senschaften Wohnprojekte gründen oder
Wohnprojektgruppen aufnehmen? Welche
Hemmnisse oder begünstigenden Faktoren
sehen Sie?
Ausgangspunkt eines Wohnprojektes ist immer
eine starke Idee, eine starke Gemeinschaft und
Interview mit Ulrich Bimberg
„Jede Wohnungsgenossenschaft ist per se
schon eine gemeinschaftliche Wohnform“
Der Vorstandsvorsitzende der Gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaft
Spar- und Bauverein Solingen eG und Vorsitzender der Bundesarbeits-
gemeinschaft der Wohnungsgenossenschaften beim GdW erläutert das
Für und Wider eines Engagements für gemeinschaftliche Wohnformen.
Beweggründe
Was bewegt Bestandsgenossenschaften, gemein-
schaftlicheWohnprojekte zu unterstützen oder zu
integrieren? Die Potenziale der Aufnahme neuer
Wohngruppen in Bestandsgenossenschaftenwer-
den kontrovers diskutiert. Die Zahl der bestehen-
den Genossenschaften, die bisher Wohngruppen
bei sich aufnahmen, ist recht überschaubar. Die
meistenWohnprojekte in Bestandsgenossenschaf-
ten entstanden eher auf Initiative des Genossen-
schaftsvorstands.
Dies hat verschiedene Gründe: Erstens ist unklar,
wer die „neue Gruppe“ ist und ob deren soziale
bzw. kulturelle Struktur zur Genossenschaft passt.
Zweitens möchten Genossenschaften ihreMitglie-
der gleich behandeln, das heißt, ein externes Pro-
jekt mit besonderen baulichen, organisatorischen
und finanziellen Aufwendungen zu integrieren,
erfordert einen gewissen Begründungszwang.
Drittens erwarten oder befürchten die Genossen-
schaften meist einen langfristigen Mehraufwand
aufgrund zusätzlicher Organisationsaufgaben
und Abstimmungsprozesse. Viertens besteht
der Vorbehalt, dass die Wohnprojekte eventuell
„Trittbrettfahrer“ sind, die von der wirtschaftlich
gesunden Struktur der Bestandsgenossenschaften
profitieren wollen, aber sich nicht deren Struktur
unterordnen.
Von Seiten der Wohnprojekte werden bisweilen
ebenfalls Vorbehalte gegenüber dem Eintritt in
eine bestehende Genossenschaft geäußert, etwa
die Befürchtung, ihre ideelle Eigenständigkeit
aufgeben zu müssen. Auch die bestehenden Pro-
jektgenossenschaften sollten sich deshalb für eine
aktivere Zusammenarbeit öffnen.
Sowohl der Generationenwechsel bei den Vor-
ständen von Genossenschaften als auch die
zunehmende Verbreitung von erfolgreichen
Projekten werden vermutlich dazu führen, dass
die Vorbehalte abgebaut werden. Indem Wohn-
projekte von bestehenden Genossenschaften
(breitenwirksam) umgesetzt werden, können die
Genossenschaften ihre Anpassungsfähigkeit an
gesellschaftspolitische Herausforderungen, wie
selbstbestimmtes Wohnen im Alter und gegen-
seitige Unterstützung, verdeutlichen. Das genos-
senschaftliche Portfolio um gemeinschaftliche
Wohnprojekte zu erweitern, und so das Angebot
für bestimmte Zielgruppen zu erweitern, ist ein
Zeichen für die Modernität des Genossenschafts-
wesens. Wohngruppen bringen eigene Lebensstile
und Vorstellungen von Selbstverwaltung ein und
tragen zur (kulturellen) „Verjüngung“ der eG bei.
ImGegenzug können viele junge Genossenschaf-
ten vomErfahrungsschatz der Altgenossenschaf-
ten profitieren.
Die Zukunft gemeinschaftlicher
Wohnformen in Genossenschaften
Viele Indizien sprechen dafür, dass gemein-
schaftliches Wohnen perspektivisch eine weiter
wachsende Bedeutung erfährt. Insbesondere wird
gemeinschaftliches Wohnen als Antwort auf ge-
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