CONTROLLER Magazin 1/2019 - page 19

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Biel:
Systeme und Methoden scheinen immer
bedeutsamer und vielleicht auch maßgebender
zu werden. Was ergibt sich daraus aus Ihrer
Sicht?
Gleißner:
Ein reines Vertrauen auf Maschinen
und Systeme, die man nicht genau kennt, ist
wenig sinnvoll. Wir brauchen letztlich beides:
die Sachkenntnis von Experten und die
Leistungsfähigkeit der Methoden
, z. B. für
die Risikoaggregation, im Zusammenspiel. Ein
Mensch ist eben nicht in der Lage, auch nur drei
Risiken in Bezug auf die Unternehmensplanung
vernünftig zu aggregieren, um daraus z. B. den
Eigenkapitalbedarf eines Projektes abzuleiten.
Biel:
Aus Ihren Ausführungen ergibt sich die
Notwendigkeit der fortgesetzten, angestreng-
ten Bemühungen zur Erfüllung der Aufgaben
des Risikomanagements. Wo sollte aus Ihrer
Sicht angesetzt werden? Sehen Sie beispiels-
weise Defizite im Bereich der Systeme und Me-
thoden? Haben Sie ein „Lieblingssystem“?
Gleißner:
Fachliche Defizite gibt es in vielen
Bereichen.
Biel:
Bitte nennen Sie uns aus Ihrer Sicht Bei-
spiele schwerwiegender Mängel.
Gleißner:
Gerne. Die gravierendsten Defizite
ergeben sich im Bereich der
risikogerechten
Bewertung
, also bei der Beurteilung des Er-
trags-Risiko-Profils von Handlungsalternativen
sowie im Bereich der dafür notwendigen Risiko-
aggregation. Dies kann man vermutlich als
mein „Lieblingsthema“ auffassen, weil ohne
eine Aggregation vorhandener Einzelrisiken Ri-
sikomanagement und ein risikoorientiertes
Controlling schlicht undenkbar sind. Es sind
nämlich nicht die Einzelrisiken, sondern
Kom-
binationseffekte von Einzelrisiken
, die Pla-
nungssicherheit, Kapitalkosten und das Rating
bestimmen. Ohne eine Risikoaggregation mit-
tels
Monte-Carlo-Simulation
ist es auch nicht
machbar, mögliche bestandsgefährdende
Entwicklungen im Sinne § 91 Abs. 2 AktG zu
erkennen, die sich aus Kombinationseffekten
von Einzelrisiken ergeben. Es ist erschre-
ckend, dass Risikoaggregation und Monte-
Carlo-Simulation in vielen Unternehmen noch
immer nicht konsequent genutzt werden.
Biel:
Bitte lassen Sie uns einen zentralen As-
pekt der gegenwärtigen Diskussion aufgrei-
fen, zumal – wie bereits erwähnt – hierzu eine
Veröffentlichung des Arbeitskreises „Risiko-
management und Controlling“ (Rezension im
Literaturforum des Controller Magazins 6/18)
vorliegt: die Vernetzung von Risikomanage-
ment und Controlling. Dieser Ansatz könnte
auf eine methodische, instrumentelle und in-
formatorische Verschmelzung hinauslaufen.
Unterstützen Sie den Vorschlag, das Risiko-
management voll und ganz in das Controlling
zu integrieren?
Gleißner:
Klar ist, dass
Controlling und Risi-
komanagement zusammenarbeiten müs-
sen
. Risiken beziehen sich auf die meist vom
Controlling erstellte Unternehmensplanung –
und nur unter Berücksichtigung von Chancen
und Gefahren können z. B. die als Entschei-
dungsgrundlage notwendigen erwartungstreu-
en Planwerte berechnet werden. Wie allerdings
organisatorisch Controlling und Risikomanage-
ment zusammenarbeiten sollen, ist vor dem
Hintergrund von Unternehmensspezifika indivi-
duell zu regeln. Von einer vollständigen Integra-
tion bis zu einem konstruktiven Nebeneinander
sind hier viele Gestaltungsvarianten denkbar,
die in dem von Ihnen erwähnten Buch auch dis-
kutiert werden.
Biel:
Könnte neben den damit verbundenen
Standardisierungseffekten auch das Risikobe-
wusstsein gestärkt werden, weil das Risiko-
management dann nicht so sehr als gesetzli-
che Pflichtaufgabe (KonTraG etc.) verstanden
würde? Könnten Risikoidentifikation, Risiko-
bewertung und -steuerung damit näher an
den Prozess der Zielsetzung und Zielerrei-
chung rücken? Könnten dann Risiken bewusster
als potenzielle Abweichungen und Ergebnis-
größe verstanden werden?
Gleißner:
Eine
Stärkung des Risikobe-
wusstseins
ist sicherlich hilfreich, vor allen
Dingen, wenn Risiko nicht mehr alleine negativ
verstanden wird, sondern als Überbegriff von
Chance und Gefahr. Unternehmerische Tätig-
keit ohne Risiko geht nicht. Für einen Bewusst-
seinswandel ist aus meiner Sicht besonders
wichtig klarzustellen, dass fundierte Informa­
tionen über Risiken speziell bei den strategi-
schen unternehmerischen Entscheidungen,
wie Investitionen oder Digitalisierungsstrategi-
en, zu berücksichtigen sind.
Biel:
Können Sie uns hierzu als Hochschullehrer
einiges zum Forschungsstand vermitteln?
Gleißner:
Die empirische Forschung zeigt klar,
dass Unternehmen, denen es gelingt, ihr Ertrags-
Risiko-Profil zu verbessern,
nachhaltig erfolg-
reicher sind
. Dies zeigt sich auch in einer über-
durchschnittlichen Börsenkurs-Entwicklung.
Eine Verbesserung der Fähigkeit im Umgang mit
Risiken muss als Werttreiber und Erfolgsfaktor
des Unternehmens verstanden werden.
Biel:
Als „Bücherwurm“ möchte ich kurz auf
die Fachliteratur zu sprechen kommen, zumal
Sie auch ein erfolgreicher Autor sind. Werfen
wir einen Blick auf zahlreiche Lehrbücher, kann
man den Eindruck gewinnen, Risikomanage-
ment bestehe im Wesentlichen aus zu erfüllen-
den gesetzlichen Anforderungen, Methoden,
Instrumenten und viel Mathematik. Entspricht
dies der Praxis? Wo bleiben z. B. die psycholo-
gischen Komponenten, zumal sich die BWL ver-
Infobox 1
Beispielhafte Themen des Risikomanagements – zugleich Forschungs- und
Tätigkeitsgebiete unseres Interviewpartners
Entwicklung von Methoden für eine simulationsbasierte Risikoaggregation – z. B. für die Vor-
bereitung von Management-Entscheidungen („Strategiebewertung“) und Value Investing.
Schaffung von spezielle Bewertungsverfahren, die Insolvenzrisiken berücksichtigen und aus-
gehend vom aggregierten Ertragsrisiko risikogerechte Kapitalkosten ableiten, statt auf Aktien-
renditeschwankungen (wie beim CAPM) zu basieren („Risiko-Wert-Modelle“ mit „unvollkom-
mener Replikation“).
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