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bereitung unternehmerischer Entscheidungen
notwendigen quantitativen Risikoanalysen und
die simulationsbasierte Risikoaggregation fin-
den oft nicht statt.
Biel:
Bitte vertiefen wir diesen Aspekt. Was be-
deutet dies für das Herbeiführen und Treffen
von Entscheidungen?
Gleißner:
Da sprechen Sie ein kritisches The-
ma an. Die Ergebnisse der Risikoanalyse wer-
den in den Entscheidungsvorlagen nicht ad-
äquat gewürdigt, weil z. B. die Methoden einer
risikogerechten Bewertung
zu wenig be-
kannt sind. Viel wichtiger als technische Ver-
besserungen ist eine gemeinsame Weiterent-
wicklung von Controlling und Risikomanage-
ment in einem entscheidungsorientierten und
risikobewussten Managementsystem. Das
Ver-
drängen von Risiken
sollte ein Ende finden.
Biel:
Risiken sind eine zwangsläufige Folge
jeder unternehmerischen Tätigkeit. Wie be-
reits deutlich wurde, erwachsen Risiken einer-
seits durch die Unsicherheit der Zukunft und
zum anderen auch durch die Unvollständigkeit
verfügbarer Informationen. Das wachsende
Unsicherheitspotenzial der Zukunft haben wir
bereits angesprochen. Wie können die Unter-
nehmen in Zeiten der Digitalisierung damit
umgehen?
Gleißner:
Wie erwähnt ist die Unsicherheit
durch eine nicht sicher vorhersehbare Zukunft
die zentrale Herausforderung der Unterneh-
mensführung; und sie wird es auch bleiben. Ob
diese Unsicherheit wirklich größer ist als in der
Vergangenheit oder – wie eigentlich auch
schon immer – nur als besonders groß empfun-
den wird, sei dahingestellt. Klar ist, dass sich
die Menge der potenziell verfügbaren Informa
tionen über Unternehmen und ihr Umfeld ver-
größert hat, speziell auch durch die verschiede-
nen Digitalisierungsinitiativen.
Biel:
Wir sind an einem Kernproblem angekom-
men, das mit dem Fachbegriff und Schlagwort
„Big Data“ umschrieben wird. Wird das Risiko-
management dadurch einfacher, besser oder
eher schwerer?
Gleißner:
Das ist in der Tat ein kritischer
Punkt. Der entscheidende Aspekt ist, wie mit
den immer größeren Mengen an Informatio-
nen umgegangen wird, insbesondere wie die-
se entscheidungsorientiert aufbereitet wer-
den. Es hilft nicht, einfach Informationen zu
sammeln und aufzubereiten. Man sollte sich
zunächst einmal die Frage stellen,
welche In-
formationen in welcher Weise tatsächlich
für die Unternehmensführung nützlich
sind
und damit in der Entscheidungsvorberei-
tung berücksichtigt werden sollten. Entspre-
chend bergen die heute zunehmend etablier-
ten Methoden des maschinellen Lernens, die
Muster in großen Datenmengen finden, Chan-
cen und Gefahren. Sie helfen Daten aufzube-
reiten und werden allerdings auch – wenn
man hier nicht sehr vorsichtig ist – Muster in
Daten finden, die nicht entscheidungsrelevant
sein sollten.
Biel:
Was sollten wir daraus folgern und uns
zu eigen machen?
Gleißner:
Wir müssen hier u. a. einen
kriti-
schen Umgang mit den Ergebnissen von
Methoden der Advanced und Predictive
Analytics erst lernen
. Leider gehen viele Un-
ternehmen mit viel Engagement diese Themen-
felder an, ohne darüber nachzudenken, wie die
Ergebnisse systematisch im Hinblick auf ihre
Qualität, Kausalität und Aussagefähigkeit ge-
prüft werden könnten.
Biel:
Bitte lassen Sie uns an ein Zwischenfazit
herantasten. Es erhebt sich die Frage, wieweit
sind sich Mitarbeiter und Führungskräfte der
verschärften Risiko-Problematik bewusst?
Bestehen ausreichendes Sachwissen und hin-
reichendes Problembewusstsein? In der ge-
meinsamen Veröffentlichung von Risk Ma-
nagement e. V. und Internationalem Controller
Verein e. V. „Vernetzung von Risikomanage-
ment und Controlling“ im Jahre 2018 spre-
chen Sie immerhin vom „Kampf gegen Risiko-
blindheit“. Sehen Sie eine Unfähigkeit, Zu-
sammenhänge, Gefahren o. Ä. richtig zu er-
kennen? Eine Blindheit des Vertrauens auf
vorhandene Systeme und Methoden?
Gleißner:
Es fehlt zweifelsohne Fachwissen –
und darüber hinaus sind tief verankerte
psy-
chologische Ursachen
dafür verantwortlich,
dass sich Menschen nicht gerne mit den rele-
vanten Risiken befassen.
Menschen neigen
dazu, Risiken zu verdrängen
, den Umfang
von Risiken falsch einzuschätzen und Risikoin-
formationen nicht adäquat in Entscheidungen
zu berücksichtigen. Das kann man zusam-
menfassend als
Risikoblindheit
bezeichnen.
Aber genau hierdurch ergibt sich der Nutzen
für betriebswirtschaftliche Steuerungssyste-
me, speziell des Risikomanagements: Es gilt,
diesen Schwächen der Intuition entgegenzu-
treten. Während bei manchen Entscheidungs-
situationen die Intuition der Menschen sehr
hilfreich ist, ist diese bei komplexen strategi-
schen Entscheidungen unter Risiko alleine un-
zureichend. Auch wenn dies nicht so gerne er-
wähnt wird, vertrauen die meisten Entscheider
doch primär auf Bauchgefühl und Erfahrung.
Dies ist problematisch.
Autoren
Prof. Dr. Werner Gleißner
ist Vorstand bei der FutureValue Group AG, einer forschungs- und
entwicklungsorientierten Unternehmensberatung und Honorar-
professor für Betriebswirtschaft, insb. Risikomanagement, an der
TU Dresden. Er ist Mitglied im Internationalen Controller Verein
(ICV), Vorstand der EACVA und des BdRA und Beirat der RMA.
E-Mail:
Diplom-Betriebswirt Fachjournalist (DFJS) Alfred Biel
ist Autor, Interviewer und Rezensent verschiedener Medien mit
betriebwirtschaftlichem und einem fachjournalistischen Studien-
abschluss. Er verfügt über reichhaltige Praxiserfahrung aus ver-
antwortlichen Tätigkeiten in betriebswirtschaftlichen Funktionen
großer und mittlerer Unternehmen. Der Deutsche Fachjournalis-
ten Verband DFJV und der Internationale Controller Verein ICV
verliehen ihm die Ehrenmitgliedschaft.
E-Mail:
Interview: Chancen und Gefahren der Digitalisierung