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Im Kontext der Risikoquantifizierung sollte man
sich bei Betrachtung eines vorliegenden Einzel-
risikos und einer darauf aufbauenden Aggre
gation mehrerer Einzelrisiken mittels Monte-Carlo-Simulation insbesondere mit folgenden
Fragen beschäftigen:
1. Ist der vorliegende Sachverhalt überhaupt
eine Chance oder eine Gefahr (Risiko)?
Planmäßige zukünftige Veränderungen, die also
nicht zufallsbedingt sind, sind kein Risiko.
2. Welcher (möglichst erwartungstreue)
Planwert ist Bezugspunkt für die Bestim-
mung möglicher positiver bzw. möglicher
negativer Abweichungen (Chancen und Ge-
fahren)?
Risiko bezieht sich immer auf einen Planwert
(bzw. einen geplanten Zustand) und ohne
Kenntnis dieses (manchmal impliziten) Bezugs-
punkts ist eine quantitative Beschreibung der
Risiken nicht möglich. Oft ist ein Planwert gar
nicht explizit angegeben, weil er „offensicht-
lich“ erscheint (z. B. die Annahme, die Fabrik
brennt nicht, ist der Bezugspunkt für die Quan-
tifizierung eines entsprechenden „Brandrisi-
kos“). Oft ist zudem die erwartete Wirkung ei-
nes Risikos ganz oder teilweise bereits in der
Planung (oder in Rückstellungen) berücksich-
tigt, was zu beachten ist, um Risiken adäquat
zu quantifizieren.
3. Ist das zu quantifizierende Risiko klar
beschrieben, struktieriert und von anderen
Risiken abgegrenzt?
Oft sind Risikobeschreibungen soweit „inter-
pretierbar“, dass der inhaltliche Umfang unklar
und insbesondere die Abgrenzung zu anderen
Einzelrisiken des Unternehmens unscharf ist.
So können beispielsweise Überschneidungen
und Doppelzählungen entstehen. Es empfiehlt
sich, bei einem Risiko klarzustellen, was
·
·
eindeutig zum Risiko gehört und
·
·
eindeutig nicht mehr zum Risiko gehört
(sondern gegebenenfalls bereits in den
„Bereich“ eines anderen Risikos fällt).
Abgrenzungen und Bezüge zu anderen Risiken
sollten möglichst dokumentiert werden. Oft
wird man feststellen, dass „Bezüge“ zu ande-
ren Risiken bestehen, weil Risiken (1) gleiche
Ursachen oder (2) gleiche Auswirkungen ha-
ben. In diesen Fällen ist eine adäquate Neu-
strukturierung der Risiken vor der quantitativen
Fazit:
Insgesamt ist also festzuhalten, dass Un-
sicherheit über den Umfang eines Risikos und
Defizite bei der verfügbaren Datengrundlage
zur Risikoquantifizierung selbst bei der Risiko-
quantifizierung im Entscheidungskalkül zu er-
fassen sind. Eine „schlechtere Datenqualität“
wirkt selbst risikoerhöhend. Weder Unsicher-
heit über die Höhe des Risikos (einer Wahr-
scheinlichkeitsverteilung) noch schlechte Daten
sind jedoch ein Argument, auf eine Risikoquan-
tifizierung zu verzichten.
Leitfaden mit Orientierungsfragen
für eine sachgerechte
Risikoquantifizierung
Ausgehend von den bisherigen grundlegen-
den Erläuterungen zur Risikoquantifizierung
wird nachfolgend ein konkretes, praxisbe-
währtes System von Orientierungsfragen (Re-
geln) für eine strukturierte und sachgerechte
Quantifizierung eines identifizierten Risikos
vorgestellt.
Für die quantitative Beschreibung von Risiken
benötigt man, wie erläutert, Häufigkeits- bzw.
Wahrscheinlichkeitsverteilungen und – im
komplexeren mehrperiodigen Kontext – ge-
gebenenfalls stochastische Prozesse. Deren
Anwendung ist notwendig im Risikomanage-
ment und im Controlling. Außer einer Kennt-
nis der Methoden (und ihre Anwendungsvor-
aussetzungen), speziell der für die Risikobe-
schreibung verwendbaren Wahrscheinlich-
keitsverteilungen, ist
für eine fundierte
Risikoquantifizierung ein „systemati-
sches Nachdenken“ erforderlich.
Es ist zu
klären, welche der verschiedenen Methoden
wie für eine sachgerechte Risikoquantifizie-
rung angewendet werden können. Nachfol-
gend sind einige der wichtigsten Regeln auf
dem Weg zur Risikoquantifizierung zusam-
mengefasst, die helfen
·
·
eine dem jeweiligen Sachverhalt ange
messene Risikoquantifizierung zu finden
(speziell bei neu identifizierten Risiken),
·
·
Schwächen oder mögliche Fehler bei
der quantitativen Beschreibung bereits
bekannter Risiken aufzudecken und
·
·
ein darauf aufbauendes „Qualitäts
sicherungssystem für die Risikoquanti
fizierung“ zu etablieren.
Beispiel:
Die Wahrscheinlichkeit des Eintritts
des Risikos innerhalb eines Jahres liegt zwi-
schen 5 und 10%.
Es ist problemlos möglich, auch mit solchen
Angaben (unter Nutzung einer Monte-Carlo-Simulation) zu rechnen und z. B. das Risikomaß
zu berechnen. Die Betrachtung des „Meta-Risi-
kos“ ist insbesondere sinnvoll, wenn
·
·
ein Risiko von besonderer hoher
ökonomischer Bedeutung ist,
·
·
die Datengrundlage vergleichsweise
schwach erscheint.
Schulung zu psychologisch bedingter
verzerrter Risikowahrnehmung
Die psychologische Forschung hat eine Viel-
zahl von Situationen identifiziert, in denen bei
der Risikobewertung Menschen systematisch
Fehler machen, also Risiken entweder ten-
denziell über- oder unterschätzen (vgl. z. B.
Slovic, 1987 und Renn, 2014). Durch eine
Schulung und Sensibilisierung hinsichtlich
derartiger Gründe für die potenzielle Fehl-
quantifizierung von Risiken lässt sich die Qua-
lität der Risikoquantifizierung verbessern. Es
sollte außerdem deutlich werden, dass die
„intuitive Risikowahrnehmung“ so stark ver-
zerrt ist, dass ein strukturiertes und systema-
tisches Vorgehen für eine adäquate Quantifi-
zierung der Risiken notwendig ist (wie im
nachfolgenden Text erläutert).
Feedback und Incentives für eine
„gute“ Risikoquantifizierung
Das Engagement von Mitarbeitern, die für die
Risikoquantifizierung zuständig sind, und damit
die Qualität der Risikoquantifizierung lässt sich
deutlich verbessern, wenn den Mitarbeitern be-
wusst ist, dass ihre Risikoquantifizierung zu-
künftig kritisch diskutiert wird. Die Diskussion
der ursprünglichen Quantifizierung eines Risi-
kos vor dem Hintergrund der späteren Entwick-
lung der zugrundeliegenden risikobehafteten
Größe führt zu einem Lernprozess, in dessen
Verlauf sich die Risikoquantifizierung verbes-
sert. Idealerweise sollten Anreize dafür gesetzt
werden, dass die zuständigen Mitarbeiter die
Risiken adäquat einschätzen.
CM Mai / Juni 2019