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Fazit
Auch wenn die vorliegenden Ergebnisse noch
Entwicklungspotenzial hinsichtlich der Integra-
tion der Risiko- und Chancenmanagementsys-
teme in deutschen Unternehmen erkennen las-
sen und damit in eine ähnliche Richtung wie
bestehende Studien zeigen (vgl. Diederichs/
Fricke/Macke, 2011; Spahr et al., 2013), muss
ebenso konstatiert werden,
dass mehr als die
Hälfte der im DAX 30 gelisteten Unterneh-
men Chancen und Risiken bereits gut in
strategischen Entscheidungsprozessen
berücksichtigt
. Dies ist auch vor dem Hinter-
grund der gestiegenen Bedeutung der ‚Busi-
ness Judgement Rule‘ und der daraus abge-
leiteten Anforderungen an Entscheidungspro-
zesse auf Ebene der Unternehmensführung
ein erfreuliches Ergebnis.
Obwohl es eine positive Wirkung des Integrati-
onsgrades eines Risikomanagementsystems
auf die Entscheidungsfindung zu geben scheint,
ist Ersteres und somit ein hoher Reifegrad des
Risikomanagements jedoch kein Garant für ei-
nen ‚wirklich strategischen Umgang‘ mit
Chancen und Risiken. Darüber hinaus zeigen
die Ergebnisse, dass es im umgekehrten Fall
auch Unternehmen mit wenig integrierten Risi-
komanagementsystemen gelingen kann, eine
systematische und risikobewusste Unterneh-
menssteuerung zu betreiben. Dies könnte an
personenspezifischen Eigenschaften der
verantwortlichen Entscheidungsträger
,
wie zum Beispiel dem persönlichen Risikobe-
wusstsein liegen.
Letzteren Zusammenhang kann die vorliegende
Studie jedoch nicht näher beleuchten. Aufgrund
der Querschnittsbetrachtung können darüber
hinaus keine belastbaren Aussagen zur Wir-
kungsrichtung getätigt und weder positive noch
negative Entwicklungen über die Zeit nachge-
zeichnet werden. Eine weitere Limitation betrifft
den qualitativen Ansatz. Das angewandte Sco-
ring-Modell könnte die Validität der Ergebnisse
beeinträchtigen, was es bei deren Interpretati-
on zu beachten gilt. Auch wenn objektive Mess-
werte zu Reifegraden und strategischen Ent-
scheidungen sowohl schwer zu konstruieren als
auch zu erheben sind, könnten zukünftige em-
nehmigt. Im Vorfeld werden die Annahmen, die
Wirtschaftlichkeit und die spezifischen Risiken
sorgfältig geprüft. [...]. Darüber hinaus bewer-
ten der Vorstand und der Aufsichtsrat sowie
Führungskräfte des Unternehmens in regelmä-
ßigen Sitzungen die Zielerreichung strategi-
scher Initiativen und leiten, sofern notwendig,
korrigierende Maßnahmen ein‘ (Geschäftsbe-
richt Linde AG, 2017, S. 92).
In Abbildung 3 werden die durchschnittlichen
Scores entlang der sechs Bewertungsindika-
toren der Teilgruppe der Unternehmen mit
mindestens mittleren Integrationsintensitäten
(≥ 2) und somit tendenziell ‚stark integrierten‘
Risikomanagementsystemen sowie der Grup-
pe mit kleineren Integrationswerten (< 2) ge-
zeigt. Erstere schneiden mit Ausnahme in der
Kategorie ‚Beitrag zum Unternehmenserfolg‘,
in der die Mittelwerte sehr eng beieinanderlie-
gen, in allen Dimensionen besser ab. Die Un-
terschiede in den Mittelwerten sind darüber
hinaus in vier von sechs Fällen statistisch sig-
nifikant (vgl. t-tests in Abbildung 3). Dies gilt
auch und insbesondere für den aggregierten
Gesamtscore, der als Durchschnittswert über
die sechs Indikatoren berechnet wurde. Die-
ses Ergebnis kann als Beleg dafür gesehen
werden, dass Unternehmen mit integrierten
Risikomanagementsystemen Chancen und Ri-
siken bei der strategischen Entscheidungsfin-
dung tatsächlich stärker berücksichtigen; in-
sofern unterstützen die Befunde die hier auf-
gestellte Hypothese.
der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der
Wettbewerbsintensität, der Absatzmärkte so-
wie der rechtlichen und regulatorischen Anfor-
derungen sowie deren potentielle Auswirkun-
gen beschrieben. Zudem werden hier strategi-
sche Maßnahmen genannt, um die identifizier-
ten Chancen und Risiken zu nutzen bzw. zu
steuern. In den Berichten vieler Unternehmen
lassen sich anschauliche Hinweise finden, dass
Risiken sowie deren Auswirkungen kontinuier-
lich in den Strategieprozess einfließen und so-
mit die langfristige Ausrichtung sowie deren
konkrete Umsetzung beeinflussen können. Mit
Blick auf die strategische Entscheidungsfin-
dung bei BASF heißt es: ‚Wir rechnen damit,
dass Wettbewerber aus Schwellenländern in
den kommenden Jahren weiter an Bedeutung
gewinnen werden. Weiterhin gehen wir davon
aus, dass viele Rohstoffanbieter ihre Wert-
schöpfungsketten ausweiten werden.
Diesem
Risiko begegnen wir mit einem aktiven
Portfoliomanagement.
Wir ziehen uns aus
Märkten zurück, bei denen die Risiken die
Chancen überwiegen und wir unsere Möglich-
keiten begrenzt sehen, uns auf Dauer von un-
seren Wettbewerbern zu differenzieren‘ (Ge-
schäftsbericht BASF AG, 2017, S. 117). Diese
Aussagen deuten
auf eine proaktive Evaluie-
rung der strategischen Ausrichtung hin
.
Eine systematische Berücksichtigung der Risi-
ko- und Chancenlage wird auch bei der Linde
AG angestrebt: ‚Investitionen in Sachanlagen,
Akquisitionen und Verkäufe werden im Investiti-
onskomitee bzw. im Vorstand erörtert und ge-
Integrierte Risikomanagementsysteme
Abb. 3: Mittelwertvergleiche zwischen Unternehmen mit unterschiedlich stark integrierten
Risikomanagementsystemen