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9. Wurde beachtet, dass für die Quantifizie-
rung der Risiken letztlich die „Netto-Risi-
ken“ maßgeblich sind?
Der Risikoumfang eines Unternehmens, auch
der aggregierte Gesamtrisikoumfang (Eigenka-
pitalbedarf), ergibt sich aus den Netto-Risiken,
die vom Unternehmen auch unter Berücksich-
tigung initiierter Risikobewältigungsmaßnah-
men (von Begrenzung der Schadenshöhen bis
zum Transfer über Versicherungen) verbleiben.
Für die Transparenz bei der Risikoquantifizie-
rung kann es sinnvoll sein, zunächst einmal ein
„Brutto-Risiko“ zu beschreiben und zu quanti-
fizieren. Durch eine nachvollziehbare „Überlei-
tungsrechnung“ sollte möglichst klargestellt
werden, welche Risikobewältigungsmaßnah-
men existieren und – insbesondere – welcher
Risikoumfang nach Risikobewältigung besteht
(Netto-Risiko).
10. Wurden bei der Risikoquantifizierung
basierend auf (1) historischen Daten und/
oder (2) subjektiven Expertenschätzungen
mögliche, aber noch nie eingetretene „Ex
tremrisiken“ berücksichtigt?
Für den Gesamtrisikoumfang – und mögliche
bestandsgefährdende Entwicklungen des Un-
ternehmens – sind insbesondere sehr seltene
extreme Risikoausprägungen zu beachten. In
den historischen Daten und in den bei der Ex-
pertenschätzung herangezogenen „Erfahrun-
gen“ spiegeln sich aber im Wesentlichen „typi-
sche“ Risikoerlebnisse wider. Für eine ange-
messene Risikoquantifizierung ist es bei wichti-
gen Risiken sinnvoll, durch Methoden der
Identifikation von Extremrisiken – z. B. Neu-
kombination und Skalierung (siehe Gleißner,
2017, S. 101ff sowie S. 535ff) – auch mögliche
Extremszenarien eines Risikos zu diskutieren.
Solche möglichen, aber noch nicht eingetrete-
nen Extremrisiko-Szenarien sind bei der Risiko-
quantifizierung zu erfassen.
11. Wie soll bei der Risikoquantifizierung
mit „Meta-Risiken“ (insbesondere Para-
meterunsicherheit) umgegangen werden?
Es besteht grundsätzlich bei der Risikoquantifi-
zierung das Problem, dass man nicht von einer
perfekten Datenverfügbarkeit ausgehen kann.
Bei wesentlichen Risiken kann es sinnvoll sein,
Transparenz zu schaffen über den möglichen
Umfang von Fehleinschätzungen des Risikos.
Es gilt Scheingenauigkeiten zu vermeiden.
gen möglich sind (siehe zu den Auswahlprinzi-
pien Gleißner, 2017, S. 174ff). Beispielsweise
kann man eine Binomialverteilung und eine
Dreiecksverteilung kombinieren. Zunächst wird
angegeben, mit welcher Wahrscheinlichkeit
das Risiko in einer Periode (genau einmal) ein-
tritt. Dann gibt man Mindestwert, wahrschein-
lichsten Wert und Maximalwert der Auswirkung
an. Für marktbezogene Risiken (z. B. Gesamt-
nachfrage, Wechselkurse, Inflation, etc.) ist oft
die Normalverteilung sinnvoll (siehe Strobel,
2011, zu weiteren Regeln für die Auswahl von
Wahrscheinlichkeitsverteilungen).
8. Welche Datengrundlage steht für die
Spezifikation (Schätzung) der Parameter
zur Verfügung, mit deren Hilfe die gewählte
Wahrscheinlichkeitsverteilung (siehe 7.)
bestimmt wird?
Sofern ausreichend Daten der Vergangenheit
vorliegen, die auch repräsentativ sind für die
Zukunft, bietet sich eine Auswertung histori-
scher Ereignisse für die Parameterschätzung
an. Aber auch die Verwendung von „Bench-
markwerten“ (z. B. der Branche) oder von sub-
jektiven Expertenschätzungen ist sachgerecht.
Es gilt der einfache Grundsatz: Die jeweils bes-
ten verfügbaren Informationen sollten für die
Risikoquantifizierung genutzt werden – wobei
auch
mehrere Quellen kombiniert werden
können (siehe z. B. Gleißner, 2008). Insbeson-
dere ist es damit kein Problem,
subjektive Ex-
pertenschätzungen
zu verwenden, wenn kei-
ne anderen Informationen vorliegen oder mit
angemessenen Kosten in der verfügbaren Zeit
zu beschaffen sind. Notwendig ist hier aller-
dings Transparenz über das Vorgehen und ins-
besondere die Nutzung von „Qualitätssiche-
rungsverfahren“, die empirisch belegte, psy-
chologisch bedingte Verzerrungen bei der „Ri-
sikowahrnehmung“ reduzieren (z. B. durch die
Anforderung einer schriftlichen Begründung
der Herleitung). Wesentlich ist, transparent
aufzuzeigen,
·
·
aus welcher Datenquelle,
·
·
welche konkreten Informationen,
·
·
in welcher Weise (Auswertungsmethode)
für die Quantifizierung der Risiken eingesetzt
wurde. Oft besteht heute ein relativ hohes Maß
an Transparenz über den „Inhalt“ eines Risikos
(Beschreibung), aber keine adäquate über die
für die Quantifizierung verwendeten Zahlen
(Parameterausprägungen).
Beschreibung sinnvoll (z. B. durch das Zusam-
menfügen mehrerer Risiken mit gleicher Ur
sache oder gleicher Auswirkung).
4. Über welchen Zeitraum soll die mögliche
Auswirkung eines Risikos betrachtet
werden?
Es sollte einheitlich ein oder z. B. drei Jahre
verwendet werden. Bei Wirkungen in „ferner“
Zukunft ist eine Diskontierung in Erwägung zu
ziehen.
5. Ist für die quantitative Beschreibung eines
Risikos eine Wahrscheinlichkeitsverteilung
ausreichend, oder benötigt man dafür zwei?
In der Praxis verwendet man oft eine Wahr-
scheinlichkeitsverteilung für die Beschreibung
der Wirkungen eines Risikos in einer (zu spezi-
fizierenden) Planperiode. Eine präzisere Be-
schreibung ist manchmal möglich, wenn man
festlegt, (1) eine Wahrscheinlichkeitsverteilung
für die Häufigkeit des Eintritts eines Schadens
in einer Periode (z. B. die Poisson-Verteilung)
und (2) eine Verteilung für die möglichen Aus-
wirkungen bei Eintritt des Ereignisses (Scha-
den). Die Beschreibung durch zwei Verteilun-
gen ist z. B. bei versicherbaren Risiken (d. h. in
der Versicherungswirtschaft) üblich.
6. Ist eine Beschreibung des zeitlichen Ver-
laufs eines Risikos erforderlich?
Bei Wirkungen eines (möglicherweise eingetre-
tenen) Risikos in einer Periode auf das Risiko
der Folgeperiode oder der Existenz von „Risiko-
faktoren“ (wie z. B. bei Währungskursen) ist die
Verwendung von stochastischen Prozessen zu
prüfen, die man als „mehrperiodige Wahr-
scheinlichkeitsverteilung“ auffassen kann.
7. Welche Wahrscheinlichkeitsverteilung
für die Wirkungen des Risikos (bzw. gege-
benenfalls getrennt für Häufigkeit des
Eintritts der Schadenhöhe) ist in Anbe-
tracht der Charakteristika des Risikos an-
gemessen?
Viele Risiken lassen sich nicht sinnvoll durch die
in der Praxis übliche Methode der Angabe von
(1) Eintrittswahrscheinlichkeit und (2) Scha-
denshöhe beschreiben und daher ist in Abhän-
gigkeit der Charakteristika des Risikos eine
nachvollziehbar dokumentierte Festlegung ei-
ner geeigneten Wahrscheinlichkeitsverteilung
notwendig, wobei auch kombinierte Verteilun-
Risikoanalyse (II)