Controller Magazin 3/2019 - page 39

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scher Entscheidungen berücksichtigt werden.
Daran anschließend werden die Risikomanage-
mentsysteme der DAX 30-Unternehmen in ei-
ner qualitativ-empirischen Untersuchung der
Geschäftsberichterstattung hinsichtlich des
Grades ihrer Integration analysiert und es wird
der Frage nachgegangen, ob ein hoher Integra-
tionsgrad auch tatsächlich einen Einfluss auf
die strategische Entscheidungsfindung in die-
sen Großkonzernen hat. Der Beitrag endet mit
einer kritischen Würdigung der Ergebnisse und
einem Ausblick.
Integriertes Risikomanagement
verbessert unternehmerische
Entscheidungen
Obschon die Beobachtung und Handhabung
betrieblicher Risiken unter der Bedingung be-
grenzter Ressourcen seit jeher Bestandteil der
unternehmerischen Aktivität und somit keine
Erfindung des 20. Jahrhunderts ist (vgl. Engels/
Cluse, 2007, S. 22), gehen die Ursprünge eines
systematischen betrieblichen Risikomanage-
ments auf die Versicherungspolitik US-ameri-
kanischer Großunternehmen in den 1950er und
60er Jahren zurück.
Ausgehend von einem primär reaktiven sowie
situativen Ansatz, der vor allem der Vermei-
dung von Schäden diente, hat sich seitdem
ein ‚Paradigmenwechsel‘ vollzogen (vgl. Ar-
nold et al., 2015). So geriet in der Folge die
Vermeidung von Abweichungen und eine Re-
duzierung der Ergebnisabhängigkeit von unsi-
cheren Rahmenbedingungen verstärkt in den
Fokus der Betrachtungen. Die Erkenntnis,
dass eine ausschließliche Vermeidung von Ri-
siken im Sinne von Schadens- und Verlustge-
fahren häufig zugleich mit der Aufgabe ent-
sprechender Chancen einhergeht, förderte die
Entwicklung eines
Ansatzes, der sowohl
sämtliche Risikoursachen als auch ihre
Zielwirkungen, unter der expliziten Einbe-
ziehung von Chancen, bewusst identifi-
ziert
, um sodann in der Entscheidungsfin-
dung Berücksichtigung zu finden (vgl. Filipiuk,
2008, S. 16 ff.). Diese Ausrichtung, die sich
neben der Anpassung des risikobezogenen
Instrumentariums zudem mit funktionalen und
institutionellen Lösungsansätzen befasst, ver-
langt einen deutlich stärkeren Bezug zu be-
stehenden Management- und Controllingpro-
zessen (vgl. Kajüter, 2012, S. 52 oder Vanini/
Leschenko, 2017).
Da Zielabweichungen wesentlich durch strate-
gische und in der Folge operative Entscheidun-
gen verursacht werden,
sollte das Risikoma-
nagement als integraler Bestandteil der
Unternehmensführung sowie eines werto-
rientierten Managements
verstanden wer-
den. Die zentrale Aufgabe des Risikomanage-
ments besteht also insbesondere darin, auf
Ebene der Unternehmensführung entschei-
dungsrelevante Informationen bezüglich beste-
hender Chancen und Gefahren bereitzustellen
sowie dafür Sorge zu tragen, dass diese Infor-
mationen konsequent in die wesentlichen un-
ternehmerischen Entscheidungen einbezogen
werden, um somit die Grundlage für ‚rationales’
Verhalten zu schaffen (vgl. Gleißner, 2017, S.
37 f.). Denn das beste und analytisch elaborier-
teste Risikomanagementsystem entfaltet kaum
eine Wirkung,
wenn die gewonnenen Er-
kenntnisse den Entscheidungsträgern erst
gar nicht zukommen
.
Die Integration des Risikomanagements in alle
strategischen sowie operativen Prozesse und die
Verankerung risikobewussten Verhaltens in der
Unternehmenskultur scheint diesen neuen An-
forderungen an ein ganzheitliches Risikoma-
nagement gerecht zu werden. Sowohl in der Ter-
minologie, als auch in der unternehmerischen
Praxis sind eine Vielzahl von zumeist synonym
verwendeten Begrifflichkeiten
3
und konkreten
Ausgestaltungsformen (vgl. Arnold et al., 2015,
S. 3) zu beobachten. Für den vorliegenden Bei-
trag soll unter integriertem Risikomanagement
ein Ansatz verstanden werden, der das Risiko-
management mit der unternehmerischen Strate-
gie- sowie Zielfestlegung verbindet und in beste-
hende Domänen wie die Entscheidungsfindung,
die Unternehmenssteuerung und das Prozess-
management vordringt. Somit weist es einen ho-
hen Reifegrad auf und ist grundsätzlich in den
oberen Stufen der entsprechenden Modelle ein-
zuordnen (vgl. Gleißner, 2018). Anstelle eines
zusammengefassten Aufgabenkomplexes einer
einzelnen und oftmals isolierten Organisations-
einheit des Unternehmens versucht der integ-
rierte Ansatz,
strukturelle sowie kulturelle
Grenzen zu überwinden
. Da es nahezu alle
Geschäftsprozesse, Funktionen und Bereiche
betrifft, ergibt sich ein sehr breites Aufgaben-
spektrum, das unter Berücksichtigung der im
Unternehmen vorhandenen Kompetenzen auf-
geteilt werden muss (vgl. Merbecks/Stege-
mann/Frommeyer, 2004, S. 226).
In der konkreten Umsetzung bedeutet dies ins-
besondere, dass eine gleichberechtige Fokus-
sierung aller Risiko- und Chancenkategorien
der gesamten Unternehmung jenseits von tra-
dierten ‚Funktions- oder Bereichssilos’ vorge-
nommen wird. Nur dies ermöglicht es, Teilopti-
mierungen zu vermeiden und stattdessen unter
Beachtung potentieller Abhängigkeiten eine
Gesamtoptimierung der unternehmerischen
Wertschöpfung zu forcieren. Darüber hinaus
sollte zur Umsetzung der Risikomanagement-
funktion – wenn möglich – ein Rückgriff auf be-
stehende Managementsysteme erfolgen. Die
nach KonTraG häufig eingeführten eigen-
ständigen Risikomanagementorganisatio-
nen müssen viel stärker die Funktion eines
Verbindungselementes übernehmen
zwi-
schen Risikomanagement einerseits und Cont-
rolling, Planung, Unternehmensstrategie und
wertorientierten Managementkonzepten ande-
rerseits, oder dort vollumfänglich integriert
werden. Letzteres würde die
Nutzung von Sy-
nergien und den Abbau zusätzlicher Büro-
kratie begünstigen
.
Integriertes Risikomanagement ist somit be-
strebt, bestehende Managementsysteme
weiterzuentwickeln und zielt darauf ab, Kom-
petenzen zur Lösung strategischer Probleme
zu fördern. Um ‚bessere‘ zukunftsgerichtete
Entscheidungen treffen zu können, muss vor-
ab evaluiert werden, in welchem Ausmaß eine
Entscheidung die aggregierte Gesamtrisiko-
position des Unternehmens verändert. Dies
umfasst, dass die Ertrag-Risiko-Profile der al-
ternativen Handlungsoptionen zu bewerten
und zu vergleichen sind. Darauf aufbauend
kann festgestellt werden, welche Implikatio-
nen sich aus der Wahl der jeweiligen Alterna-
tive auf den Grad der Bestandsbedrohung,
das Rating, den Erfolg und letztendlich den
Unternehmenswert ergeben würden (vgl.
Gleißner, 2015, S. 5; Gleißner, 2017, S. 21,
420). Überdies trägt eine derart entschei-
dungsorientierte Ausrichtung des Risikoma-
nagements maßgeblich dazu bei, den in § 93
Abs. 1 Satz 2 AktG (‚Business Judgement
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