Controller Magazin 3/2019 - page 34

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die Einschätzungen heterogener und weiter
auseinander liegen. Diese Beobachtung gilt es
zu akzeptieren und in Form größerer Bandbrei-
ten (größere Standardabweichung) bei der Risi-
koqualifizierung zu berücksichtigen.
Verwendung von Benchmarkdaten
Ergänzend zu Experteneinschätzungen können
für die Risikoquantifizierung Benchmarkdaten
verwendet werden. So können z. B. Durch-
schnittswerte für die Umsatzvolatilität der Un-
ternehmen einer Branche verwendet werden
(vgl. Gleißner/Grundmann, 2008).
Berücksichtigung von möglichen
Extremereignissen
Sofern auf Grund der im Unternehmen vorlie-
genden (begrenzten) Daten unterstellt werden
kann, dass diese die Wahrscheinlichkeitsvertei-
lung lediglich im „Normalbereich“ gut beschrei-
ben, aber mögliche Extremereignisse bisher
nicht eingetreten sind, können
„hypothetische
Extremereignisse“
bei der Bestimmung der
Wahrscheinlichkeitsverteilung zusätzlich be-
rücksichtigt werden.
Berücksichtigung von Parameterunsicher-
heiten und anderen „Meta-Risiken“
Häufig sehen sich die befragten Experten nicht
in der Lage, einen geeigneten Schätzwert z. B.
für den „wahrscheinlichsten Wert“ einer Drei-
ecksverteilung anzugeben. Hier besteht grund-
sätzlich die Möglichkeit, diesen Parameter der
Verteilung selbst wieder als risikobehaftet zu in-
terpretieren, also ein „Meta-Risiko“ zu berück-
sichtigen. Genauso kann man mit einer Band-
breite der Wahrscheinlichkeit für den Eintritt
eines Schadens rechnen. Mithilfe von Simulati-
onsverfahren (Monte-Carlo-Simulation) lassen
sich auch derartig quantifizierte Risiken prob-
lemlos durch einen zweistufigen Simulations-
ansatz auswerten und im Rahmen der Risiko-
aggregation berücksichtigen.
So kann, auch bei Expertenschätzungen, z. B.
die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Risikos
selber in einer Bandbreite angegeben werden.
Risikoquantifizierung mit
subjektiven Expertenschätzungen:
Ansatzpunkt für die Verbesserung
der Qualität
Eine schlechte Datenverfügbarkeit ist keine Be-
gründung, auf eine Quantifizierung eines Risi-
kos zu verzichten. Erforderlich sind daher pra-
xistaugliche Verfahren, die möglichst effizient
zu einer tragfähigen und nachvollziehbaren
subjektiven Quantifizierung eines Risikos füh-
ren. Die folgenden dargestellten Regeln tragen
dazu bei, dass auch eine auf subjektiver Schät-
zung basierende Risikoquantifizierung eine
möglichst hohe Qualität erreicht (zum Teil in
Anlehnung an Gleißner, 2017).
Transparenz der Quantifizierung
Damit jede Risikoquantifizierung nachvollzogen
werden kann, sollte der zugrunde liegende
Planwert und der (Rechen-)Weg gezeigt und
auch auf die für die Quantifizierung herangezo-
genen Informationsquellen hingewiesen wer-
den. Anzugeben ist zudem, welche Risikobe-
wältigungsmaßnahmen (die den bewertungsre-
levanten Risikoumfang mindern) bei der Risiko-
quantifizierung berücksichtigt wurden.
Risikoquantifizierung auf Basis von
mehreren Expertenschätzungen
Oft ist es nützlich, mehrere quantitative Ein-
schätzungen von Experten bezüglich des Um-
fangs eines Risikos mittels Monte-Carlo-Simu-
lation zu verbinden (vgl. Gleißner, 2008, mit ei-
nem Fallbeispiel). Liegen eindeutige Risikoin-
formationen vor, werden Einschätzungen nahe
zusammen liegen (wenig Risiko bei der Risiko-
quantifizierung). Ist man sich bei der Einschät-
zung unsicher (schlechte Datenlage), werden
rung. Bei der Risikoquantifizierung gilt der
pragmatische Grundsatz, dass die besten ver-
fügbaren Informationen über ein Risiko best-
möglich und transparent auszuwerten sind. Die
nachfolgend erläuterten Methoden helfen eine
möglichst hohe Qualität der Risikoquantifizie-
rung sicherzustellen.
Zunächst soll aber knapp erläutert werden, wa-
rum die
Verwendung subjektiver Einschät-
zungen
von Risiken (z. B. über Wahrscheinlich-
keiten) zulässig und die häufig zu findende Un-
terscheidung zwischen „Unsicherheit“ und „Ri-
siko“ gar nicht erforderlich ist. Nach Sinn (vgl.
Sinn, 1980, S. 5-46) können nämlich die unter-
schiedlichen Grade von Unsicherheit (Risiko,
Ungewissheit) immer auf den Fall einer „sicher
bekannten objektiven Wahrscheinlichkeit“ zu-
rückgeführt werden, die dann für alle weiteren
Analysen und Entscheidungen genutzt werden
kann (vgl. auch Keppe/Weber, 1993).
Dies bedeutet
für die Praxis, dass alle Risi-
ken quantifizierbar sind
, selbst wenn gar kei-
ne objektiven Informationen vorliegen. Beispiel:
Die absolute Unkenntnis bezüglich des eine In-
vestition bedrohenden Risikos müsste man wie
folgt ausdrücken: Die Eintrittswahrscheinlich-
keit liegt zwischen 0 und 100%. Und die Scha-
denshöhe im Falle des Eintritts zwischen 0 und
ca. 300 Billionen EUR, dem Gegenwert aller
Vermögensgegenstände der Erde. Bei der Vor-
bereitung unternehmerischer Entscheidungen
durch Controlling und Risikomanagement kann
es immer nur darum gehen, die verfügbaren In-
formationen adäquat darzustellen. Scheinge-
nauigkeiten sind nie erwünscht.
Wenn ein Experte Wahrscheinlichkeitsangaben
anbietet, diese aber selbst nicht sicher sind,
können Wahrscheinlichkeiten höherer Stufen
verwendet werden (Sinn, 1980, S. 47).
Autor
Prof. Dr. Werner Gleißner
ist Vorstand bei der FutureValue Group AG in Leinfelden-Echterdingen und Honorarprofessor für Betriebswirtschaft,
insb. Risikomanagement, an der TU Dresden. Er ist Mitglied im
Internationalen Controller Verein (ICV) und im Beirat der Risk
Management Association sowie Vorstand der EACVA.
E-Mail:
Risikoanalyse (II)
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