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kannt. Gerade bei öffentlichkeits-scheuen Fa-
milienunternehmen, in denen wir gleichfalls
erste Untersuchungen durchgeführt haben, se-
hen wir eine stark ausgeprägte Zurückhaltung,
was aber nicht unmittelbar fehlende Compli-
ance konnotiert.
Biel:
Sie haben mit Ihrem „Compliance on
Board Index (CoBI)“ sowohl ein Modell als auch
ein Messinstrument zur Erfassung und Beurtei-
lung von Compliance in den Unternehmen erar-
beitet. Was möchten Sie damit bewirken? Wel-
ches Potenzial sehen Sie?
Vieweg:
Unternehmen zu helfen, nachhaltig
erfolgreich zu sein durch tatsächlich gelebte
Compliance und gute Corporate Governance ist
ein Auftrag meines Instituts. Hierzu kann die
Transparenz helfen, die wir mit dem Messinst-
rument CoBI gewinnen.
Biel:
Wozu dient der CoBI? Benchmarking,
Werkzeug zur Effizienzsteigerung oder?
Vieweg:
Der CoBI dient nicht nur als Bench-
marking, sondern auch als Hilfsmittel für unter-
nehmensspezifische Fragestellungen. Am Ende
geht es um die Unternehmenskultur, das
Werte-
und Selbstverständnis
der für das Unterneh-
men handelnden Personen.
Biel:
Und wie erleben Sie Compliance tatsäch-
lich in der Unternehmenspraxis?
Vieweg:
Da, wie bereits erläutert, Compliance
verbreitet als nicht grundlegende Aufgabe ge-
sehen, als Selbstverständlichkeit fälschlicher-
weise vorausgesetzt oder
gar als lästiges
Übel
gesehen wird, ist mein persönlicher An-
spruch als systemischer Organisationsentwick-
ler auch, Unternehmen bei der Umsetzung mit
bewährten und neuen Ansätze wie „lean-agile“
zur besseren Compliance – sozusagen „built-
in“ – zu helfen. Die Methodik des CoBI ist inso-
fern ein Werkzeug zur Beurteilung der Ist-Situ-
ation und ermöglicht die Vermessung des Fort-
schritts. In der Beratung einzelner Unterneh-
men zum Compliance- und Kulturwandel
verwende ich es, um konkret
Optimierungs-
felder zu adressieren
.
Biel:
Wir diskutieren für das Controller Maga-
zin. Dadurch liegt es nahe, auf etwas zu spre-
Selbst wenn es schwieriger wird für Controller,
aber neben monetären Bewertungsmaßstäben
müssen wir akzeptierbare Kriterien der Bewer-
tung finden, die die nichtmonetären Werte („As-
sets on two legs“) zu verstehen helfen.
Biel:
Bitte lassen Sie mich nachfassen. Und
was ist an diesem Thema so schwierig? Warum
wird darüber so viel geschrieben und diskutiert.
Warum müssen Sie sich z. B. mit Ihrem Institut
so intensiv mit diesem Thema befassen? War-
um ist der Praxisstand vielfach nicht so über-
zeugend wie Sie darlegen?
Vieweg:
Veränderung zum Besseren fängt im-
mer mit Verstehen an, also muss das Problem
transparent gemacht werden. Am Institut für
Compliance & Corporate Governance (ICC) ha-
ben wir mit dem Compliance-on-Board-Index
bewusst eine objektive Herangehensweise ge-
wählt, bei dem die Selbsterklärungen der ein-
zelnen Unternehmen zu deren Compliance-
Verständnis und -Maßnahmen herangezogen
werden. Dabei können und wollen wir gar nicht
unterstellen, dass diese Aussagen dem tat-
sächlichen Compliance-Standard im jeweiligen
Unternehmen vollumfänglich entsprechen. Die
Logik ist, dass Unternehmen, die sich um
Compliance tatsächliche priorisiert kümmern,
dieses zumindest mittelfristig ihren Stakehol-
dern auch kundtun, ganz im Sinne „tue Gutes
und rede darüber“. Einschlägige Untersuchung
zeigen, dass Unternehmen mit diesem „Can-
dorship“ mittelfristig eine signifikant bessere
Performance liefern.
Biel:
Warum?
Vieweg: Vertrauen!
Festes Überzeugtsein von
der Verlässlichkeit, Zuverlässigkeit von Unter-
nehmen, Managern und Mitarbeitern macht
den Unterschied.
Biel:
Gibt es hierzu einen zentralen „Hebel“, um
die Compliance zu beeinflussen?
Vieweg:
Ja, der Wandel wird durch die
Unter-
nehmenskultur
bewirkt und unterstützt – und
das Richtige tun (Compliance) intrinsisch veran-
kert. Diesen Effekt bezeichne ich als „Carving-in“.
Vielfach wird allerdings das Thema Compliance
aus vorgenannter Kurzsichtigkeit (noch) niedrig
priorisiert und der Vertrauensbeitrag nicht er-
licherweise versteht man darunter die Einhal-
tung sämtlicher für ein Unternehmen relevanter
Pflichten, Vorschriften, Richtlinien sowie der von
den Unternehmen selbst gesetzten Standards.
Worum geht es im Kern? Um den Zustand des
Geordnetseins und um Wohlverhalten oder um
Verlässlichkeit und Zuverlässigkeit?
Vieweg:
Beides! Es betrifft – klassisch betriebs-
wirtschaftlich gesprochen – sowohl die Aufbau-
als auch die Ablauforganisation. Entscheidend
ist,
wie es implementiert und gelebt
wird.
Struktur und Geordnetsein hilft allen Beteiligten
als Orientierung, besonders in einer zunehmend
komplexen Welt. Am Ende zählt aber das Ver-
trauen: das Vertrauen sämtlicher „Stakeholder“,
ob Kunde, Anteilseigner, Mitarbeiter oder die
Gesellschaft als Ganzes, in das, was das Unter-
nehmen verspricht. Dieses inhärente Verspre-
chen lautet in der Minimalfassung: „Wir machen
Fair Play, wir halten uns an die Regeln“.
Biel:
Können wir diese abstrakten Ausführun-
gen in ein Beispiel umsetzen?
Vieweg:
Bitte lassen Sie mich aus der Com-
pliance-Perspektive zuspitzen. Also, ein um-
weltfreundliches Automobil zu versprechen
und Dreckschleudern zu verkaufen „geht gar
nicht“ ...
Biel:
Sie setzen sich vehement für Compliance
ein. Werden über die Compliance bzw. über die
optimale Umsetzung und Anwendung Wertbei-
träge geschaffen? Wo liegt der „Compliance-
Nutzen“?
Vieweg:
Das ist eine sehr berechtigte und
schwierige Frage, die in der schon erwähnten,
vielfach praktizierten Kurzsichtigkeit mit „margi-
nal“ falsch beantwortet wird. So ist festzustel-
len, dass derzeit die Compliance-Budgets viel-
fach eingefroren oder gar abgeschmolzen wer-
den. Zumeist ist kurzfristig nur etwas zu holen
unmittelbar nach einem publikumswirksamen
Skandal, wo durch Investition in Compliance-
Maßnahmen ein kläglicher Versuch unternom-
men wird, zerstörtes Vertrauen zurückzukaufen.
Aber
Vertrauen ist nicht käuflich
, man muss
es sich über lange Zeit erarbeiten, es gibt kei-
nen Short-Cut, denn praktizierte Compliance ist
eine Frage der Unternehmenskultur. Auch ist
Compliance nur indirekt monetär messbar.
Interview: Reicht ein mittleres Compliance-Niveau?