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Stellt auf einer Dampflok der Heizer seine Arbeit
ein, fährt der Zug erst einmal unverändert wei-
ter. Langsam, fast unmerklich verlangsamt sich
dann das Tempo. Dauert es zu lange, bis wie-
der Kohle unter den Dampfkessel verbrannt
wird, bleibt der Zug liegen. Selbst wenn erneut
mit voller Kraft geheizt wird, dauert es lange,
bis die ursprüngliche Geschwindigkeit wieder
erreicht wird.
Dieses Bild passt symbolisch für das Ausschei-
den einer Führungskraft und die Übernahme
der Verantwortung durch einen Nachfolger. Es
ändert sich wenig, wenn die Aufgaben eine Wo-
che nicht wahrgenommen werden, aber sehr
viel, wenn diese länger als einen Monat liegen-
blieben. Werden die üblichen 100 Tage jeweils
als Zeitraum für die langsame Beendigung und
die vollständige Übernahme der Aufgabe einge-
räumt, vergeht mehr als ein halbes Jahr, zu lan-
ge, um im intensiven Wettbewerb nicht zurück-
zufallen. Die Aufgabe des Controllings im Rah-
men des oben aufgezeigten Bildes ist schlicht
dafür zu sorgen, dass der Kessel weiter unter
Druck bleibt und der Zug, sprich das Unterneh-
men, nicht an Fahrt verliert.
Das übliche Vorgehen
Nach üblicher Ansicht soll bei einem Stellen-
wechsel der Nachfolger nicht die Auswirkungen
der Entscheidungen seines Vorgängers tragen
müssen, sondern vielmehr eigenverantwortlich
Entscheidungen treffen können. Entsprechend
werden gegen Ende der Tätigkeit keine mittel-
und langfristig wirksamen Entscheidungen
mehr gefällt, sondern vertagt. Laufende Projek-
te werden möglichst abgeschlossen, teilweise
abgebrochen, um dem Nachfolger einen „auf-
geräumten“ Schreibtisch zu hinterlassen. Ope-
rative, alltägliche Aufgaben, die Organisation
des Geschäfts, werden sauber übergeben, not-
wendige Erläuterungen abgegeben und Doku-
mentationen überreicht.
Dem neuen Stelleninhaber wird genügend
Zeit zur Einarbeitung eingeräumt. Oft unter-
stützen Programme des Personalwesens da-
bei. Mitarbeiter werden kennengelernt, die
operativen Abläufe verinnerlicht, einzelne
Standorte besucht und Gespräche mit Kun-
den und Lieferanten geführt. Handelt es sich
bei der neuen Position um die erste Personal-
verantwortung, erfolgen Schulungen und Se-
minarbesuche. Unausgesprochen werden
mindestens die angeführten 100 Tage Einar-
beitungszeit zugestanden, bevor eigene Im-
pulse zu erwarten sind.
Das Controlling passt sich diesem Verhaltens-
muster im Umgang mit neuen Entscheidungs-
trägern an. Standardisierte Treffen werden
wahrgenommen, fest terminierte Gespräche
eingehalten, wobei auch hier berücksichtigt
wird, dass insbesondere Ergebniszahlen die
Vergangenheit reflektieren und eine neue Füh-
rungskraft dafür nicht verantwortlich gemacht
werden kann. Bei den von ihr eingeleiteten
Maßnahmen wird gleichfalls eine gewisse Vor-
laufzeit eingeräumt. Einen typischen Ausdruck
findet dieses Verhaltensmuster auch darin,
dass erfolgsabhängige Entgeltbestandteile für
einen ersten Zeitraum fix vereinbart sind.
Damit ergibt sich eine Übergangsphase von un-
gefähr sechs Monaten oder 200 Tagen, in de-
nen das operative Geschäft weiterläuft, strate-
gische Impulse jedoch ausbleiben. Dies mag
bei einem stabilen Geschäftsmodell verkraftbar
sein, wobei es sich jedoch zunehmend um eine
Ausnahme handelt. Bei dynamischen Verände-
rungen und starkem Wettbewerb ist diese Zeit
des Stillstandes zu lang. Wettbewerber können
schwer aufzuholende Vorteile aus dieser Situa-
tion ziehen, insbesondere wenn die Zeit des
Wechsels beim Konkurrenten zielgerichtet ge-
nutzt wird, um selbst neue Impulse zu setzen.
Aufgaben des Controllings
Auf den ersten Blick handelt es sich bei dem
hier dargestellten Thema um eine Aufgabe des
Personalbereichs. Bei Führungskräften beglei-
tet das Personalwesen häufig die Auswahl des
neuen Stelleninhabers und erstellt ein Pro-
gramm für die erste Zeit im Unternehmen bzw.
auf der Position, um die Übernahme der Aufga-
be zu erleichtern, als auch zu verkürzen. Dabei
steht allerdings der neue Stelleninhaber im Mit-
telpunkt, der ausscheidende Mitarbeiter wird
allenfalls im „technischen“ Sinne begleitet. Un-
ternehmenseigentum wird zurückgegeben,
Fragen des Entgeltes und weitere Leistungen,
bspw. im Rahmen der betrieblichen Altersver-
sorge werden geklärt. Weiterhin wird eine ge-
meinsame Zeit von altem und neuem Stellenin-
haber angestrebt; wie die Übergabe der Verant-
wortung im Einzelnen erfolgt, ist für das Perso-
nalwesen von geringem Interesse.
Um auf eingangs dargestelltes Bild zurückzugrei-
fen: das Personalwesen hat dafür Sorge zu tra-
gen, dass der Heizer rechtzeitig ausgewechselt
wird und der passende Nachfolger die Aufgabe
übernimmt; die Aufgabe, dass der Dampfkessel
unter Druck bleibt, fällt dem Controlling zu.
Um Ineffektivität und Rivalitäten zu vermeiden,
gilt es seitens des Controllings, dem Personal-
wesen schon mit Beginn eines entsprechenden
Projektes diese Unterschiede zu verdeutlichen.
Abschied von einer Führungsposition
Aufgaben des Controllings für die letzten 100 Tage
von Susanne Schneider und Daniel Themessl
Abschied von einer Führungsposition