PM spezial Kanzleien 4/2017 - page 12

12
SPEZIAL KANZLEIEN
_RECHTSPRECHUNG
spezial Kanzleien im Arbeitsrecht 2017
D
er Blick auf besonders bedeut-
same Urteile des Bundesar-
beitsgerichts (BAG) liefert für
das vergangene Jahr ein recht
kurioses Ergebnis. Die Erfurter Richter
haben nämlich auffallend oft, anstatt letzt-
instanzlich Rechtsfragen zu klären, diese
dem Europäischen Gerichtshof (EuGH)
zur Entscheidung vorgelegt.
Ein Grund dafür dürfte die Unsicher-
heit der Bundesrichter darüber sein, ob
der EuGH ihre Urteile am Ende nicht
doch wieder kassieren könnte – dann
lieber vorher mal anfragen. Dies scheint
die Devise der Erfurter Richter zu sein,
die zuletzt zu einer rekordverdächtigen
Anzahl von Vorlagebeschlüssen führte –
Anfragen, die zudem oft mit kniffligen
Zusatzfragen und mitunter mit Unterhal-
tungswert ausgestattet sind. Natürlich
hat das BAG aber auch zahlreiche Fälle
entschieden (siehe Kasten) – zumindest
solange die Parteien nicht doch noch den
EuGH ins Spiel bringen.
Altersdiskriminierung von Piloten?
Fragen zu Altersgrenzen im arbeits-
rechtlichen Kontext werden weiterhin
diskutiert. Wieder einmal ging es gleich
Anfang 2016 um einen Piloten, einen
Flugkapitän, der nach seinem 65. Ge-
burtstag bis zum Ende seiner regulären
Dienstzeit – genau gesagt ging es im kon-
kreten Fall um zwei lange Monate – nicht
mehr mit fliegerischen Aufgaben betraut
worden war. Die Fluggesellschaft hatte
sich dabei auf eine europäische Verord-
nung berufen, die einen Einsatz im ge-
werblichen Luftverkehr jenseits des 65.
Lebensjahrs untersagt. Die Frage war
jedoch: Ist diese Verordnung rechtlich
tatsächlich geeignet, eine Altersdiskri-
minierung des Piloten auszuschließen?
Damit muss sich nun der EuGH be-
fassen. Das BAG hat es ihm nicht leicht
gemacht. Sollte der EuGH nämlich erwar-
tungsgemäß entscheiden, dass die euro-
päische Regelung zur Altersgrenze eine
rechtmäßige Schranke ist, hatte das BAG
zwei Zusatzfragen auf Lager. So möchten
die Richter noch wissen, ob unter dem
Begriff des „gewerblichen Luftverkehrs“
im Sinne der europäischen Vorschrift
auch Leerflüge zu verstehen sind, also
solche, bei denen weder Fluggäste noch
Fracht oder Post befördert werden. Zu-
dem soll der EuGH auch klären, ob der
Pilot zumindest in sonstiger Funktion
als „nicht fliegendes Mitglied der Crew“
hätte eingesetzt werden können.
Vorlagebeschluss vom 27.1.2016,
Az. 5 AZR 263/15 (A)
Europarecht versus Kirchenprivileg
Beschäftigte in der Katholischen Kir-
che riskieren ihre Kündigung, wenn
ihre private Lebensführung gegen die
Grundsätze des katholischen Glaubens
verstößt. Ob das rechtens ist, darüber
wird schon seit Jahr und Tag heftig ge-
stritten – vor allem, wenn der Arbeit-
nehmer keine sakrale, sondern eine
durchaus weltliche Tätigkeit ausübt.
Eine gerichtsbekannt gewordene
Fallgestaltung basierte nun auf der
Kündigung des Chefarztes eines Kran-
kenhauses in katholischer Trägerschaft.
Grund war seine Wiederverheiratung.
Diese könne, so hatte das BAG 2009 ent-
schieden, seine ordentliche Kündigung
nicht rechtfertigen. Jedoch war dieses Ur-
teil durch das Bundesverfassungsgericht
wieder aufgehoben und zur erneuten
Entscheidung ans BAG zurückverwie-
sen worden. Dieses ist sich offenbar nun
sicher, den Vorgaben des Bundesverfas-
sungsgerichts zu entsprechen, möchte
aber sichergehen, den Fall später nicht
wieder vom EuGH zurückzubekommen.
Daher haben die Erfurter Richter in
einem Vorlagebeschluss abgefragt, ob
Kirchen – bei einem an Arbeitnehmer
in leitender Stellung gerichteten Ver-
langen nach loyalem und aufrichtigem
Verhalten – zwischen Arbeitnehmern
unterscheiden dürfen, die der Kirche an-
gehören, und solchen, die dies nicht tun.
Vorlagebeschluss vom 28.7.2016,
Az. 2 AZR 746/14 (A)
Urlaub, Teil I: Abgeltung für Erben
Im Oktober 2016 machten die Erfurter
Richter gleich mit zwei Vorlagebeschlüs-
sen deutlich, dass sie es mit der Ver-
teidigung des Bundesurlaubsgesetzes
„todernst“ meinen. Es ging darum, wie
Urlaubsansprüche nach dem Tod eines
Arbeitnehmers zu bewerten sind. Die
Vorinstanzen hatten einen Urlaubsab-
geltungsanspruch der Erben bejaht
und dies mit früheren EuGH-Urteilen
begründet. Die Luxemburger Richter
hätten schließlich schon (Rechtssache
C 118/13) entschieden, dass Urlaubsab-
geltungsansprüche vererbbar seien.
Dem hält das BAG nun aber entgegen,
dass der EuGH seinerzeit nicht über alle
wesentlichen Aspekte entschieden habe
Von
Thomas Muschiol
Der EuGH ist gefragt
RÜCKBLICK.
Im vergangenen Jahr hat das BAG viele interessante Sachverhalte dem
EuGH vorgelegt. Wichtige, vom EuGH zu klärende Fälle haben wir zusammengefasst.
1...,2,3,4,5,6,7,8,9,10,11 13,14,15,16,17,18,19,20,21,22,...52
Powered by FlippingBook