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spezial Kanzleien im Arbeitsrecht 2017
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Das Interview führte
Michael Miller.
Der Arbeitgeber soll also – wenn der
Arbeitnehmer einverstanden ist – ab-
weichen können. Immer mehr EU-Mit-
gliedsstaaten machen, gerade vor dem
Hintergrund der neuartigen Rahmen-
bedingungen, von diesem Opt-out in
irgendeiner Form Gebrauch. Sie erken-
nen, dass eine rigide 48-Stunden-Woche
nicht mehr zeitgemäß ist. Für Deutsch-
land wäre ein solches Opt-out eine sehr
radikale Lösung, die sich auf absehbare
Zeit kaum umsetzen lässt. Das Gegenar-
gument der Gewerkschaften in diesem
Zusammenhang: Man könne nicht pau-
schal darauf vertrauen, dass sich Arbeit-
nehmer wirklich autonom entscheiden
und sich vernünftige Arbeitsbedingun-
gen aussuchen können. Das stimmt bei
manchen Tätigkeiten, aber es gibt eben
auch viele Beschäftigte, gerade im Be-
reich der hochqualifizierten Wissens-
mitarbeiter, die sehr wohl wissen, was
in ihrem Interesse ist, die nachgefragt
sind und die ihre Arbeitsbedingungen
auch weitgehend diktieren können.
personalmagazin:
Was wären konkrete
Punkte, die es zu ändern gilt?
Henssler:
Wir brauchen mehr Flexibilität
bei der momentanen Höchstarbeitszeit
von zehn Stunden pro Tag. Diese Re-
gelung ist in vielen Bereichen zu starr.
Stellen Sie sich einen großen internatio-
nalen Deal vor, an dem verschiedene in-
ternationale Anwaltskanzleien beteiligt
sind. Die Verhandlungen gehen in die
heiße Phase, als plötzlich alle deutschen
Anwälte aufstehen und – weil sie bereits
zehn Stunden gearbeitet haben – nach
Hause gehen. Undenkbar! Hier muss es
Abweichungen geben können. Auf jeden
Fall benötigen wir tarifliche Öffnungen,
und noch mehr. Denn für angestellte Un-
ternehmensberater oder Rechtsanwälte
gibt es ja keine Tarifverträge.
Nehmen Sie demgegenüber die Ar-
beitszeitregeln für Bundesbeamte, die
eine Höchstarbeitszeit von 13 Stunden
vorsehen. Warum eigentlich? Oder die
Arbeitszeitverordnung für Beamte in
Nordrhein-Westfalen: Dort sind die zehn
Stunden nur als Soll-Vorschrift ausge-
staltet, es gilt die 48-Stunden-Woche.
Das ist in sich nicht konsistent: Wenn
man darauf beharrt, dass mehr als zehn
Stunden pro Tag nicht zumutbar sind,
warum geht es dann bei den Beamten?
Natürlich ist die Herausforderung für
den Gesetzgeber, dass die Höchstarbeits-
zeit nicht einfach komplett gestrichen
werden kann. Nehmen Sie den Arbeiter
in der Gießerei: Für eine körperlich so
anstrengende Arbeit sind zehn Stunden
bereits zu viel. Daher ist ganz klar, dass
wir stärkere branchen- und tätigkeitsbe-
zogene Öffnungen brauchen.
personalmagazin:
Auch die Ruhezeit ist oft
ein Thema. Was ist hier Ihr Vorschlag?
Henssler:
Pauschal elf Stunden Ruhezeit,
wie wir es momentan haben, sind zu
starr. Wir brauchen eine Ruhezeit von
elf Stunden im 24-Stunden-Zeitraum,
wie es die EU-Richtlinie zulässt. Zudem
sollte es in Sonderfällen möglich sein,
die Ruhezeit auf acht Stunden zu ver-
kürzen – solange innerhalb eines Aus-
gleichszeitraums die durchschnittliche
werktägliche Ruhezeit von elf Stunden
gewährleistet ist.
personalmagazin:
Sehen Sie noch weitere
Anpassungen des Arbeitszeitgesetzes?
Henssler:
Der Bereich der Aufzeichnungs-
pflichten ist momentan sehr streng ge-
regelt, indem jede Überschreitung des
Acht-Stunden-Tags aufgezeichnet und
vom Arbeitgeber kontrolliert werden
muss. Das ist absurd, gerade im Bereich
der Vertrauensarbeitszeit, wo meiner
Ansicht nach eine Aufzeichnungspflicht
bei Überschreiten der 48-Stunden-
Woche genügen würde. Der angestellte
Anwalt entscheidet sowieso selbst, ob
er weiterarbeiten will oder nach Hause
geht. Hier geht die viel zu formalistische
Aufzeichnungspflicht an der Realität
vorbei.
personalmagazin:
Blicken wir noch auf die
Regierungspläne zum Rückkehrrecht aus
der Teilzeit und zur Entgelttransparenz.
Henssler:
Für Personalplaner ist ein Rück-
kehranspruch bei Teilzeit ein heißes Ei-
sen. Gerade für kleinere und mittlere
Unternehmen wird das zu Problemen
führen. Im Endeffekt muss der Arbeit-
geber nach den geplanten Vorschriften
nachweisen, über wie viel freies Ar-
beitsvolumen er verfügt. Er kann jedoch
nicht mehr frei darüber entscheiden,
wie er dieses vergibt und wem er es zu-
ordnet. Das führt aus meiner Sicht zu
einem verfassungsrechtlichen Problem,
da dies die unternehmerische Entschei-
dungsfreiheit einschränkt. Daher geht
das Vorhaben in die falsche Richtung.
Noch schlimmer sind die geplanten ge-
setzlichen Regelungen zur Entgelttrans-
parenz. Sie sind weder zukunftsfähig,
noch werden sie das Problem lösen, weil
die Schwierigkeiten woanders liegen.
Anstatt sich Gedanken darüber zu ma-
chen, wie Mathematik, Informatik sowie
naturwissenschaftliche oder technische
Berufe für Frauen attraktiver werden,
wird die Verantwortung für die Lohnun-
terschiede alleine am Arbeitgeber fest-
gemacht. Die Vorschläge werden zu ei-
ner enormen Bürokratisierung führen,
am wirklichen Problem jedoch nichts
ändern. Mehr Karriere und mehr Geld
für Frauen erreichen wir auf diesem
Weg nicht. Benötigt werden vielmehr ein
Ausbau der Kinderbetreuung und eine
klischeefreie Berufsorientierung.
„Die modernen, neuar-
tigen Arbeitsformen wer-
den vom Gesetz nicht
sachgerecht erfasst. Das
beste Beispiel dafür ist
das Arbeitszeitgesetz.“