PM spezial Kanzleien 4/2017 - page 11

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spezial Kanzleien im Arbeitsrecht 2017
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Das Interview führte
Holger Schindler.
Einsatzmöglichkeiten weit über Kryp-
towährungen hinaus – speziell für den
Rechtsverkehr.
personalmagazin:
Woran denken Sie da vor
allem?
Glatz:
Bislang benötigt unser Rechts-
system Notare und öffentlich geführte
Register, etwa Grundbücher, Handels-
register oder Vereinsregister, wodurch
der Vollzug bestimmter Rechtsgeschäfte
und bestimmte rechtliche Sachverhal-
te öffentlich beglaubigt werden. Diese
Funktionen, die das allgemeine Vertrau-
en der Teilnehmer am Rechtsverkehr si-
chern, kann in Zukunft die Blockchain-
Technologie übernehmen. Notare und
Register könnten in Zukuft überflüssig
werden. Beglaubiger, Treuhänder und
Mittelsmänner verlieren ihre bisherige
Bedeutung. Denn das Vertrauen kommt
in Zukunft direkt aus der Integrität der
Blockchain selbst. So ist es vorstellbar,
dass etwa ein Grundstückskauf ohne
Zeitverzug direkt zwischen beiden Par-
teien online über die Blockchain abge-
wickelt wird. Das Geschäft ist damit ein
für alle Mal öffentlich dokumentiert –
bei gewaltig verringerten Transaktions-
kosten.
personalmagazin:
Das würde allerdings
erhebliche Gesetzesanpassungen erfor-
derlich machen.
Glatz:
Natürlich muss die Gesetzgebung
die neuen Möglichkeiten durch die
Blockchain ins Auge fassen und Klärung
schaffen, etwa was ihren Einsatz bei be-
stimmten rechtlichen Vorgängen und
die Klärung der Beweiskraft angeht. Es
gibt aber Jurisdiktionen, die an diesem
Punkt schon wesentlich weiter sind als
Deutschland. So testet zum Beispiel
Schweden bereits seit gut einem hal-
ben Jahr die Blockchain-Technik im Zu-
sammenhang mit dem dortigen Grund-
buchsystem. Und auch hierzulande ist
das Interesse der Politik sehr groß. Ich
persönlich war beispielsweise schon im
Kanzleramt, um die Möglichkeiten der
Blockchain darzulegen. Und diese Mög-
lichkeiten gehen ja noch weiter.
personalmagazin:
Inwiefern?
Glatz:
Hier kommt das Stichwort Smart
Contracts ins Spiel. Man muss sich
dabei die Blockchain vorstellen wie
ein Betriebssystem, auf dem dann ver-
schiedenste Smart Contracts wie An-
wendungen laufen. Dabei handelt es
sich um programmierte Logiken für
rechtliche Interaktionen, quasi sich
selbst abwickelnde Verträge. Auch hier
ist wesentlich, dass einseitige Mani-
pulationen ausgeschlossen sind, dass
einmal erfasste Smart Contracts nicht
mehr gelöscht oder abgeändert werden
können und dass alles öffentlich festge-
halten wird. Denkbar sind zum Beispiel
Smart Contracts zur automatischen Ab-
wicklung komplexer Finanzgeschäfte.
Konkret genutzt wird die Technik der-
zeit bereits vom Crowdfunding-Projekt
DAO, was für Dezentrale Autonome
Organisation steht. Dort wird eine Art
genossenschaftlicher Investmentfonds
mittels Blockchain-Smart-Contracts ab-
gewickelt – bei minimalem Handling-
Aufwand.
personalmagazin:
Der Knackpunkt ist aber
dann letztlich doch das Thema Sicher-
heit. Sie sagen einfach, eine Manipulati-
on ist bei der Blockchain nicht möglich.
Aber wenn doch?
Glatz:
Selbstverständlich ist der Anreiz,
Hintertürchen bei der Blockchain-Tech-
nik zu finden, enorm groß. Allein im
Bereich Bitcoin wird derzeit weltweit
ein Gegenwert von rund 15 Milliarden
Euro mittels dieser Technologie gehand-
habt. Aber man muss auch anerkennen,
dass seit ihrer Einführung 2009 diese
Blockchain völlig integer läuft. Es gab
zwar durchaus Angriffe gegen die Sys-
teme einzelner Bitcoin-Teilnehmer, aber
die Blockchain selbst hat sich bisher als
sicher erwiesen. Das liegt eben wie ge-
sagt vor allem an ihrer grundsätzlichen
Architektur. Statt über Passwörter, Ab-
schottung und limitierte Zugänge wird
die Sicherheit über eine vorbehaltlose,
allgemeine Transparenz gewährleistet.
personalmagazin:
Falls die Vorteile und
Stärken der Blockchain tatsächlich so
erheblich sind, dann dürfte sich die
Technik ja schnell und umfassend durch-
setzen – mit den entsprechenden Effekten
für die Rechtsbranche. Oder mit welchem
Verlauf rechnen Sie?
Glatz:
Ich denke, es ist sehr vernünftig
sich da vor Augen zu führen, wie die
Entwicklung und Ausbreitung des Inter-
nets verlaufen ist – und damit einher-
gehend der Umgang mit den verschie-
denen Onlineanwendungen im Alltag.
Dort hatten wir es ja zunächst mit einer
frühen Hypephase zu tun, verbunden
mit zunächst weit übertriebenen Er-
wartungen, die dann zur berüchtigten
Dot-com-Blase geführt haben. Es folgte
eine Phase der Desillusionierung. Die
Blase ist geplatzt und dadurch ist ge-
wissermaßen, so scheint es aus heutiger
Perspektive, Raum enstanden, um die
neuen Möglichkeiten in soliderer Wei-
se für nutzbringende Lösungen einzu-
setzen. Mit den bekannten Folgen: Wer
kann sich heute noch vorstellen, seine
Arbeit ohne Internet zu meistern und
sein Privatleben ohne Onlineanbindung
zu führen. Ähnlich wellenförmig könnte
auch die Durchsetzung der Blockchain
verlaufen. Entscheidend ist zunächst,
dass ein breiter Austausch über die Po-
tenziale dieser Technologie erfolgt.
„Notare und Register
könnten in Zukunft
überflüssig werden.
Beglaubiger, Treuhän-
der und Mittelsmänner
verlieren ihre bisherige
Bedeutung.“
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