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SPEZIAL KANZLEIEN
_LEGAL TECH
spezial Kanzleien im Arbeitsrecht 2017
sungen und Ansätze zusammengefasst
wird. Eine klare Definition gibt es nicht.
Im weitesten Sinne lässt sich darunter
jeglicher Einsatz von IT-Unterstützung
juristischer Tätigkeiten fassen. Eine
Übersicht über den deutschen Legal-
Tech-Markt zu erstellen und diese auf
dem Laufenden zu halten, das hat sich
Rechtsanwalt und IT-Experte Dominik
Tobschall aus Münster zur Aufgabe ge-
macht. Seine Landkarte der Legal-Tech-
Szene hierzulande – zugänglich unter
ermittelt
einen Eindruck davon, wie breit gefä-
chert diese ist.
Tobschall gliedert den Markt in ins-
gesamt neun verschiedene Gruppen
von Lösungen und Services. Da gibt es
– erstens – die mittels IT-Einsatz stark
automatisierte und standardisierte ju-
ristische Beratung und Unterstützung
für recht klar definierte, einfach und
in großer Zahl auftretende Rechtsfälle.
Als typische Beispiele nennt er Online-
plattformen, welche juristische Hilfe bei
verspäteten oder ausgefallenen Flügen
bieten, etwa Flightright oder Compensa-
tion-2-Go. Ähnliche Services gibt es aber
auch für Bußgelder nach Tempolimit-
Überschreitungen im Straßenverkehr,
die Erstellung von Testamenten, die An-
fechtung von Hartz-IV-Bescheiden oder
den Kampf um Kompensation im Zu-
sammenhang mit dem VW-Dieselgate-
Skandal.
Daneben erkennt Tobschall als ei-
gene Legal-Tech-Klasse IT-gestützte
Vermittlungsplattformen für die Man-
datsvergabe sowie für das Outscourcing
juristischer Teilaufgaben. Tobschall
unterteilt hier dann allerdings noch-
mals in – zweitens – Dienstleistungen
für „Legal Process Outsourcing“, kurz
LPO, welche wiederum als Lawyer-to-
Lawyer-Variante (L2L) oder als Lawyer-
to-Business-Variante (L2B) auftreten
(Beispiele: Perconex und Xenionlaw)
sowie in – drittens – Plattformen für
Verbraucherrechtsberatung, also Law­
yer-to-Consumer-Vermittlung. Hierunter
fasst er auch juristische Frage-Antwort-
Plattformen. Als Beispiele führt er un-
ter anderem Advocado, Anwalt.de und
123-Recht an.
Viertens gibt es in Tobschalls
Marktüberblick die Gruppe der Ver-
zeichnis- und Rating-Portale für die
Anwaltsbranche und andere juristische
Anliegen sowie der allgemeinen juris-
tischen Content-Portale, darunter etwa
die Deutsche Anwaltsauskunft, Richter-
Score oder E-Recht-24. IT-gestützte Hil-
fe bei der Erstellung von Verträgen für
Verbraucher und Unternehmen bietet
die fünfte Gruppe der Legal-Tech-Lö-
sungen, etwa Smartlaw, Formblitz oder
Wonderlegal.
Die weiteren Marktkategorien in Tob-
schalls Überblick betreffen vorwiegend
die Arbeit von Kanzleien und Rechts-
abteilungen. Spannend ist darunter
insbesondere – sechstens – die Gruppe
der Lösungen, die auf E-Discovery-Me-
thoden, etwa zur Dokumentenanalyse,
und teils auch auf künstliche Intelligenz
setzen, zum Beispiel Lexalgo, Leverton
oder Knowledge-Tools. Schon verhältnis-
mäßig lange im Einsatz und sehr weit
verbreitet sind – siebtens – juristische
Datenbanken. Daneben erkennt Tob-
schall noch – achtens – die Lösungen
für das IT-gestützte Management von
Kanzleien, beispielsweise Kleos oder
Legaltrek, sowie – neuntens – weitere
Tools, welche die Effizienz in der Rechts-
beratung erhöhen, beispielsweise das
Tracking von Abrechnungen (Busylamp)
oder die Bereitstellung von Onlinebera-
tungsräumen (Klientus).
Grenzen der Legal-Tech-Entwicklung
sind nicht unverrückbar
Die Grundsatzfrage, inwieweit juristi-
sche Leistungen von Computern erleich-
tert und am Ende ganz übernommen
werden, bleibt indes bestehen. „Wir
müssen uns aber bewusst sein, dass
Grenzen der Anwendbarkeit und Ska-
lierbarkeit, die wir jetzt noch sehen,
nicht unverrückbar sind“, erklärt Stefan
Sieling, Partner bei CMS in Deutsch-
land und verantwortlich fürs Knowledge
Management der Kanzlei. Als Beispiel
nennt er die beschränkende Wirkung
von Sprachbarrieren. „Schon heute sind
Computer bei Übersetzungen so gut,
dass ich mich mittels eines handelsüb-
lichen Smartphones recht gut mit Men-
schen verständigen kann, deren Spra-
che ich gar nicht spreche. Das lässt die
Perspektiven etwa für die IT-gestützte
juristische Dokumentenanalyse erah-
nen“, so Sieling. „Zu denken, dass Ma-
schinen einmal alle Anwälte überflüs-
sig machen werden, ist Quatsch. Aber
die Fortschritte der Computertechnik
werden sicher ermöglichen, dass viele
Routine- und Standardaufgaben von Ju-
risten in Zukunft ohne großes menschli-
ches Zutun abgearbeitet werden.“
Und warum muss sich die IT-Technik
stets juristischen Gegebenheiten an-
passen? Es könnte auch anders herum
laufen. Dahin geht etwa das Denken
von Verfechtern der Blockchain als ju-
ristische Infrastruktur der Zukunft
(siehe Interview ab Seite 10). Demnach
könnten sich künftig Rechtsgeschäfte
auf eine Weise wandeln und mit ihnen
die rechtlichen Rahmenbedingungen,
dass sie völlig reibungslos digital ab-
gebildet und automatisch durchgeführt
und durchgesetzt werden könnten.
HOLGER SCHINDLER
ist freier Journalist in
Freiburg im Breisgau.
„Viele Routine- und
Standardaufgaben von
Juristen werden in
Zukunft ohne großes
menschliches Zutun
abgearbeitet werden.“
Stefan Sieling, Rechtsanwalt, Knowledge-
Management-Partner bei CMS
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