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RECHT
_MINDESTLOHN
personalmagazin 06/18
I
st der monatliche Abschlag einer
regelmäßigen Provisionszahlung
auf denMindestlohn anzurechnen?
Sind Zulagen oder Sachbezüge
mindestlohnfähig? Wie sieht es mit re
gelmäßigen Nachtzuschlägen aus? Dies
ist nur ein winziger Ausschnitt aus der
Fülle von Detailfragen, die sich während
der bisherigen Laufzeit des Mindest
lohngesetzes angesammelt haben. Sie
zeigen jedoch: Die Vorgaben des Geset
zes haben Diskussionen zu unzähligen
dieser Einzelfragen ausgelöst und auch
Arbeitsgerichte haben zwischenzeitlich
eine reichhaltige Rechtsprechung dazu
entwickelt.
Seit mehr als drei Jahren sind die
Vorgaben des Mindestlohngesetzes also
Pflichtmaterie in Unternehmen. Grund
genug sich zu fragen, was die Kernprob
leme der Praxis sind, die Mitarbeitern
in den Personalabteilungen noch immer
Kopfschmerzen bereiten und wo Verän
derungen durch den Gesetzgeber ange
bracht sind.
Praxisproblem 1: Der tarifliche
Mindestlohn geht vor
Das Hauptproblem bei der Konzeption
des Mindestlohngesetzes lag entgegen
vieler Unkenrufe nicht darin, die neue
gesetzliche Lohnuntergrenze einzuhal
ten. Im Gegenteil: Nicht selten hatten
Unternehmen bereits bei Inkrafttreten
des Mindestlohngesetzes freiwillig das
Lohnniveau eingehalten, was ihnen mit
den neuen Regeln staatlicherseits vorge
schrieben wurde.
Von
Thomas Muschiol
Einfach nur an den gesetzlichen Min
destlohn halten, mit diesem Hinweis war
und ist es jedoch in vielen Branchen nicht
getan. Der Grund: Mit dem Mindestlohn
gesetz wurde die Möglichkeit erheblich
vereinfacht, Tarifverträge durch staat
lichen Akt für allgemeinverbindlich zu
erklären, sie damit im Ergebnis auf die
Ebene eines Gesetzes zu erheben. Mit an
deren Worten: Die weitreichenden Über
prüfungs- und Sanktionsvorschriften,
gelten für den gesetzlichen wie für den
tariflichen Mindestlohn gleichermaßen.
Wie aber erfährt ein Unternehmer,
ob für ihn statt des allgemeinen gesetz
lichen Mindestlohns ein mitunter erheb
lich höherer tariflicher Lohn gilt? Diese
Frage, so wird häufig kritisiert, lässt
sich weder durch den Text des Mindest
lohngesetzes beantworten, noch besteht
die Möglichkeit einer verbindlichen
behördlichen Anfrage. Es wird den Un
ternehmern überlassen, sich in Eigen
initiative um die wichtige Vorfrage nach
einem speziellen tariflichen Mindest
lohn zu kümmern. Die Antwort hierauf
ist kein einfaches Unterfangen, denn da
für muss der Unternehmer zunächst er
gründen, zu welcher Branche er gehört.
Das kann im Einzelfall schwierig sein,
gibt es doch nicht wenige Unternehmen,
die Mischtätigkeiten ausüben.
Das ist jedoch nicht alles: Nur wenige
Tarifverträge sind bundesweit einheit
lich zu beachten. So kann gegebenenfalls
der Firmensitz entscheidend sein, was
bei überregional agierenden Unterneh
men zum Problem werden kann. Wer
dann den für ihn einschlägigen Mindest
lohn-Tarifvertrag identifiziert hat, muss
diesen permanent imAuge behalten. Der
Grund: Anders als beim gesetzlichen
Mindestlohn ist die Laufzeit der Tarifver
träge keinem System unterworfen. Nicht
wenige Tarifverträge enden beispiels
weise unterjährig. Entsprechende Kon-
trollen und Wiedervorlagen werden hier
für die Personalabteilungen zur Pflicht.
Dazu kommt: Der tarifliche Mindest
lohn kann bezüglich der Qualifikation
(zum Beispiel nach der Einstufung als
Helfer oder Geselle) differenzieren. Be
sonders kompliziert wird es dann, wenn
unterschiedliche Mindestlöhne nach
Lohngruppen ausgewiesen werden.
Hier wird den (eigentlich tariflosen)
Unternehmern nichts anderes übrig
bleiben, als in den Manteltarifvertrag
zu schauen, dem sie ja eigentlich nicht
unterliegen, um erst auf diesem Wege
eine richtige Einstufung im Sinne des
Mindestlohns vornehmen zu können.
Fazit: Die Aussage „Es gibt einen ge
setzlichen Mindestlohn“ ist irreführend.
Drei Jahre, drei Probleme
RÜCKBLICK.
Das Mindestlohngesetz hat vieles im Unklaren gelassen. Drei wichtige
Fragen zur Lohnuntergrenze, die Unternehmen aus der Praxis beantworten müssen.
Faktisch entscheiden
selten Arbeitsrichter da
rüber, ob Mindestlohn
verstöße vorliegen. Die
eigentlichen Mindest
lohnprüfer sind jene der
Sozialversicherung.