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RECHT
_AGILITÄT
06/18 personalmagazin
D
ie Digitalisierung beeinflusst nicht nur Arbeitsformen
und Gegenstände, sondern auch die Führungskultur
in Unternehmen. Agiles Arbeiten gilt als das neue
Führungs- und Organisationsprinzip in Unterneh-
men, bei dem interne Kommunikation, mitarbeiterzentriertes
Führungsverständnis und Eigenverantwortlichkeit der Mitarbei-
ter die Unternehmenskultur wesentlich prägen. Agiles Arbei-
ten bricht mit Hierarchie und klar beschriebenen
Strukturen. Es schafft Rahmenbedingungen,
die die individuelle Kreativität fördern und
eigenverantwortliches, teamübergreifen-
des Arbeiten ermöglichen sollen. Wie
viele der neuen Entwicklungen in
HR, bricht Agiles Arbeiten und das
veränderte Organisations- und Füh-
rungsprinzip mit den bisherigen
Paradigmen, die auch das Arbeits-
recht prägen. Es stellt sich daher die
Frage, ob das deutsche Arbeitsrecht
diesem Wandel genügen kann.
In Arbeitsverträgen können Ar-
beitgeber und Arbeitnehmer festlegen,
welche Tätigkeit geschuldet ist, was für
die Beurteilung und Bewertung des Arbeit-
nehmers gilt und ob der Arbeitnehmer vertrags-
gemäß leistet. Ferner bestimmt der Arbeitsvertrag, ob
der Arbeitgeber die von ihm geschuldeten Arbeitsbedingungen
schafft. In einer agilen Umwelt können diese Feststellungen
unter Umständen schwerfallen – insbesondere bei häufig wech-
selnden Projekten, die einen breiten Einsatz der Arbeitnehmer
erfordern und möglicherweise über die Tätigkeitsbeschrei-
bung im Arbeitsvertrag hinausgehen. Bei agilen Organisa-
tionsformen kann daher die Feststellung schwierig sein, ob
Arbeitnehmer vertragsgemäß leisten oder ob Arbeitgeber die
Arbeitsbedingungen schaffen, damit Arbeitnehmer ihre ver-
tragsgemäße Arbeitsleistung erbringen können.
Helfen kann hier die Ausübung des Weisungsrechts durch
den Arbeitgeber. Jedoch ist fraglich, ob in einer agilen Ar-
Von
Manteo Eisenlohr
beitsumgebung die organisatorischen Voraussetzungen für
die rechtskonforme Ausübung des Weisungsrechts bestehen.
Hierarchien sind eine der zentralen rechtlichen Organisa-
tionsleitplanken im Betrieb. Was durch Gesetz, Tarifvertrag,
Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag nicht eindeutig und
fallbezogen geregelt ist, löst der Vorgesetzte durch Ausübung
des Weisungsrechts. Dies setzt jedoch Hierarchie voraus, die
beim agilen Arbeiten gerade nicht eindeutig besteht. Das schafft
Unsicherheit darüber, wer Weisungen erteilt oder empfängt.
Agile Organisationen und Arbeitsformen erfor-
dern häufig schnelles Handeln – Teams wer-
den gebildet und aufgelöst, um bestimmte
Arbeitsergebnisse zu erzielen. Rechtlich
dürfte es sich hier umVersetzungen ge-
mäß § 99 Abs. 1 BetrVG oder um die
Einführung von Gruppenarbeiten im
Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG
handeln. In beiden Fällen besteht
ein erzwingbares Mitbestimmungs-
recht des Betriebsrats. Agile Perso-
nalführung hat damit das Potenzial,
mit erzwingbaren Mitbestimmungs-
rechten anzuecken und die „agile“ Or-
ganisation und Führung in eine nicht
endende Verhandlungsrunde mit dem
Betriebsrat zu verwandeln.
Eine offene Führungsform ist rechtlich nicht
verboten oder ausgeschlossen. Jedoch muss der recht-
liche Rahmen entstehen, auch umKonflikte mit Arbeitnehmern
und Betriebsrat zu vermeiden. Offene Führung setzt offene und
flexible rechtliche Rahmenbedingungen im Arbeitsvertrag und
in betrieblichen Regelungen voraus. Wichtig dabei ist, dass die
gesetzlichen Schutzbestimmungen erhalten bleiben und nicht
im Interesse voller „Agilität“ untergraben werden.
KOLUMNE.
Agiles Arbeiten bringt ein geändertes Organisations- und Führungsprinzip
mit sich. Bleibt die Frage, ob das Arbeitsrecht mit diesem Wandel mithalten kann.
Agiler als erlaubt?
DR. MANTEO EISENLOHR,
Rechtsanwalt und Part-
ner bei der Kanzlei Altenburg, äußert sich regelmäßig
an dieser Stelle zu den aktuellen Entwicklungen in
der digitalen Arbeitswelt.
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